Editorial

Museumsland Schweiz:
Wachstum ohne Grenzen?
Tagung Winterthur - 25. September 1999

Ausstellungen als Unternehmen
Christoph Vitali, Direktor, Haus der Kunst, München




Es gibt keine Krise der Museen und schon gar nicht der Ausstellungen. Anders als das Theater, das mit einer tiefen Sinnkrise ringt und sich von den moderneren Medien des Films und Fernsehens bis zur Infragestellung der eigenen Existenzberechtigung bedrängt sieht, das über Jahrzehnte stets lebendigere und zeitnähere Sprechtheater und bemerkenswerterweise nicht die lange als ebenso antiquiert wie elitär verschrieene Oper, die unvermutet zu neuem Leben erwacht ist, erfreut sich die bildende Kunst eines breiten und wachsenden öffentlichen Interesses und nimmt im Kulturleben mittlerweile unbestritten die erste Stelle ein. Weit davon entfernt, eine bedrohliche Konkurrenz darzustellen, haben die elektronischen Medien offenbar zu diesem hohen Beachtungsgrad noch beigetragen. Es ist, als wären die Menschen von der Flut digitalisierter Bildsurrogate, die in den letzten Jahren über sie hinweggegangen ist, so erschöpft, daß sie sich mehr denn je nach dem primären Bild, dem unverwechselbaren Original zurücksehnen, statt der virtuellen Welt wieder die wirkliche erleben wollen.

Dennoch und trotz dieser scheinbar so problemlosen und fast euphorischen Situation der Kunst ist seit geraumer Zeit eine heftige Diskussion zwischen den für sie Verantwortlichen im Gange, die immer breitere Kreise der Öffentlichkeit ergreift und, so ist es normalerweise, den oberflächlichen Beobachter auf eine Krise schließen ließe. Die gegensätzlichen und einander erbittert bekämpfenden Positionen, in denen sich organisatorische und inhaltliche Fragestellungen vermischen und teilweise sogar gegenseitig bedingen, lassen sich nur schwer mit den Etiketten konservativ und innovativ versehen; Knackpunkt der heftigen Kontroverse scheint vielmehr die Frage der Öffnung beziehungsweise der Abschottung der Kunst zu sein. Was die Diskussion so unerfreulich und auch unfruchtbar macht, ist die polemische Überspitzung der Vorwürfe, die mir allerdings, das mag an meiner subjektiven Sicht der Dinge liegen. eher von den Bewahrern als von den Neuerern auszugehen scheint. Sie sind zwar noch immer deutlich in der Mehrheit und halten landauf, landab die Schlüsselpositionen inne, fühlen sich aber in die Defensive gedrängt. Recht eigentlich, so lassen sich die Vorwürfe zusammenfassen, wird den Reformern abgesprochen? daß es auch ihnen um die Kunst geht, behauptet, daß ihnen lediglich hohe Besucherzahlen am Herzen liegen und daß sie, um diese zu erreichen, bereit sind, auf alles Inhaltliche zu verzichten und nur noch Rummel um des Rummels willen veranstalten.

Auszugehen ist vom ernsten Kern der Kontroverse, in dem sich die Ansichten tatsächlich diametral gegenüberstehen, ein nicht oder nur schwer überbrückbarer Dissens zu bestehen scheint. Es geht an der Schwelle zum dritten Jahrtausend um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, ob es genügt, daß das Kunsthaus den Schichten der Bevölkerung verständlich und zugänglich ist, die sich schon immer ohne Schwierigkeiten in ihm zurecht gefunden haben oder ob es erforderlich ist, heute dringlicher denn je, diese Basis ebenso entschlossen wie radikal zu verbreitern und die Akzeptanz der Kunst zu einer allgemeinen, in der ganzen Gesellschaft verankerten auszubauen und auch die Menschen an das Kunsthaus zu binden, die weder im Elternhaus noch in der Schule das nötige Rüstzeug für eine intensive und sachkundige Beschäftigung mit der Kunst erhalten haben, ja den Versuch zu machen, ihnen diese Instrumentarien im Museum selber zu vermitteln. Ausgetragen wird diese Auseinandersetzung vor allem in der Debatte um das Für und Wider der Mobilität der Kunst, die sich mittlerweile fast zu einem Glaubenskrieg ausgewachsen hat. Wenn es uns ernst ist mit der Behauptung, die Kunst sei ein unabdingbares Ferment der menschlichen Existenz, wenn wir uns ein sinnerfülltes Leben ohne Kunst nicht vorstellen können und ihrer emanzipatorischen Kraft, das menschliche Zusammenleben zu verändern und zu verbessern, eine Chance geben wollen, kann es auf diese beiden zentralen Fragen nur eine Antwort geben, ein vorbehaltloses Ja zur Notwendigkeit der wirklichen und ernstgemeinten Demokratisierung der Kunstrezeption und ebenso zu der sie allein ermöglichenden Aufrechterhaltung der Mobilität der Kunstwerke in und außerhalb des Museums.

Es ist nicht nur meine demokratische Grundüberzeugung, die man als idealistisch oder gar utopisch belächeln mag, die mich für eine Öffnung der Museen und ihre stärkere Einbindung ins gesellschaftliche Leben eintreten läßt, sondern auch die kulturpolitisch durchaus pragmatische Überlegung, daß sich anders deren Fortbestand ideell und materiell nicht garantieren läßt. Es kann nicht ernstlich bezweifelt werden, daß die komplizierte und kostenintensive Struktur der Museen auf Dauer nur von der öffentlichen Hand zu finanzieren ist und eigentlich auch nicht anders sichergestellt werden darf. Wieweit für die Museumstätigkeit, die eine starke Außenwirkung entfaltet, die Ausstellungen etwa, immer wieder auch über den Tag hinaus, ohne Einbußen für deren inhaltliche Substanz, Sponsormittel der Privatwirtschaf't mobilisiert werden können, mag dahingestellt bleiben. Ich bezweifle auch dies, glaube nicht an eine wirkliche Kontinuität und befürchte, daß wegen des aus ihrer Sicht legitimen Selbstdarstellungsbedürfnisses der sich so engagierenden Wirtschaftsunternehmen auch inhaltlich eine Selektionierung zugunsten des Populären und Gängigen einsetzen, während das Schwierige und Widerständige von der Förderung ausgespart und vernachlässigt würde. Für die freie Entfaltung seiner Arbeit ist es unabdingbar, daß das Museum von uns allen, denen die Kunst gehört, die es verwahrt, getragen und verantwortet werden muß und nicht von Partikulärinteressen. Im Umkehrschluss kann dies nur heißen, daß das Museum alle Kräfte daran setzen muß, eine breite Öffentlichkeit mit ihrem Interesse und ihrer Sympathie an sich zu binden, und nicht ein Ghetto zur Erbauung der Bildungseliten bleiben darf. Demgegenüber verfolgen, wie mir scheint, viele Museumskollegen eine eigentümliche Doppelstrategie. Wenn es um die Gewährung oder Sicherung der erforderlichen öffentlichen Gelder und Zuschüsse geht, wird lautstark und eloquent die gesellschaftliche Relevanz der Arbeit betont. Im Museumsalltag möchte man dann aber lieber wieder mit der Kunst alleine gelassen werden und sich nicht ernstlich mit dem lästigen und ungebildeten Publikum auseinandersetzen müssen. Es ist, um nun auch einen etwas polemischen Vergleich zu bemühen, als forderte man kostenlose Schulen ein, und wollte gleichzeitig dazu nur hochbegabte oder schon hochgebildete Schüler zulassen.

Wir wissen längst, daß das Museum vor allem deshalb so schwer zugänglich, die Schwellenangst, die viele vor seinem Betreten und einer wirklichen Teilhabe und Anteilnahme an ihm zurückschrecken läßt, deshalb so groß ist, weil der Besucher ohne Vorbildung sich in ihm nicht leicht zurechtfinden kann. Die historisch gewachsene und in ihrer Zusammensetzung von vielen Zufälligkeiten geprägte museale Sammlung, die noch immer gängige traditionelle Hängung nach Chronologie und Schulen, macht es denjenigen, die mit der Kunstgeschichte nicht oder nicht genügend im Überblick vertraut sind, schwer, das isoliert in Erscheinung tretende Kunstwerk zu verstehen, einzuordnen und Sinnzusammenhänge zu erkennen. Um solche Sinnzusammenhänge, thematische und monographische immer wieder neu zu stiften, bedarf es der Ausstellung, sie ist für den Kundigen und den mit der Kunst wenig Vertrauten erst recht ein unverzichtbares Medium zu ihrem Verständnis. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß nur die vergleichende Betrachtung der Originale nebeneinander auf ein und derselben Wand ein interpretierendes Eindringen in jedes einzelne Werk erlaubt, Aufschlüsse über die Entwicklung des Oeuvres eines Künstlers oder über die Entwicklungslinien eines Stils oder einer Epoche beziehungsweise die epochenübergreifende Darstellung eines Themas geben kann. Unserer reproduktionsfreudigen Zunf't muß dies immer wieder ins Stammbuch geschrieben werden. Für den Laien hat die Ausstellung den Vorzug, daß sie ein Oeuvre oder Thema aus dem für ihn unüberschaubaren Gesamtpanorama der Kunst herauslöst und wie mit einem Scheinwerferlicht erhellt. Das Museum muß deshalb solche, intelligente und erhellende Einblicke verschaffende Ausstellungen durch Leihgaben ermöglichen und fördern, nicht nur, weil es sich vom leihnehmenden Institut Gegenleihgaben erhofft, sondern aus Verantwortung gegenüber dem von ihm verwahrten Einzelwerk und der Verpflichtung, dessen Rezeption durch Fachleute wie Laien zu erleichtern.

Die Mobilität, die ich dem Museum in seinen Außenbeziehungen abverlange, muß es aber auch im Innern zeigen. Die Schausammlung darf nicht zu einer über Jahrzehnte unberührbaren Preziosenauslage erstarren, sondern muß immer wieder neu überlegt, neu mit den in den meisten Museen überreichen und kaum je gesichteten Depotbeständen aufgemischt werden, so können überraschende Analogien über die Jahrhunderte und über die Schulen hinweg gezeigt, provokative Kontraste bewirkt werden, die Grenzen zwischen Schausammlung und Ausstellung müssen schwinden. Nichts ist spannender, als eine museale Sammlung immer neu pointiert zu erleben, wie dies etwa in der Londoner Tate Gallery regelmässig der Fall ist, deren Bestände alle paar Monate neu präsentiert und gehängt werden, eigentlich wie in einer Ausstellung. Das unbegreifliche und ungerechtfertigte Auseinanderklaffen zwischen überfüllten Ausstellungen und menschenleeren. verwaisten und im Dornröschenschlaf vor sich hin schlummernden festen Sammlungen wäre so zu vermeiden. Aber etwas Arbeit, konzeptionelle und physische, ist dazu erforderlich und zuallererst die Überzeugung, daß auch die Schausammlung oder sie sogar in allererster Linie der ständigen Aufmerksamkeit bedarf. Diese letztere allerdings scheint mir bei nicht wenigen Museumskollegen zu fehlen, ja ich habe manchmal den Eindruck, daß sie das Publikum als störend und für die Kunstwerke schädlich betrachten und es gerne und kampflos an die Ausstellungshäuser abtreten.

Ich fordere die Mobilität der Kunst um so entschlossener ein, als ich nicht zu erkennen vermag, welche ernstlichen Risiken sie bergen könnte. Die Debatte um die Gefährdung, der Kunstwerke ausgesetzt sind, wenn sie bewegt werden oder gar zu Ausstellungen reisen dürfen, hat mittlerweile fast hysteroide Züge angenommen, und hat mit der Realität kaum mehr etwas zu tun. Längst sind ja ganze Kategorien von Werken von jedem Leihverkehr ausgeschlossen, Plastiken aus Holz oder anderen, auf Temperaturschwankungen empfindlich reagierenden oder fragilen Materialien ebenso wie Gemälde auf diffizilem Bildträger, und viele Museen leihen kapitale Hauptwerke ihrer Sammlungen wegen einer potentiellen Gefährdung auch dann nicht aus, wenn sie keinerlei konservatorische Probleme aufwerfen. Wir Ausstellungskuratoren haben gelernt, glaubwürdige Ausstellungen auch ohne diese Werke zu machen, aber die Reise des einzelnen Betrachters zum Kunstwerk vermag dessen Reise zur Ausstellung aber eben doch nicht zu ersetzen, wie immer wieder behauptet wird. Zum Andern sind die Transportmechanismen, ihre ganze Logistik mittlerweile in einer Weise verfeinert und gesichert, daß Transportschäden fast ausgeschlossen werden können. Wenn ich versuche, mir gravierende und spektakuläre Schadensfälle der letzten Jahrzehnte in Erinnerung zu rufen, fallen mir auf Anhieb eine Reihe von Verlusten infolge von Krieg oder Naturkatastrophen ein, herostratischen Attentaten in den Museen selber und nicht zuletzt von Restaurierungsfehlern und Pannen, kaum jedoch von Transporten.

Auch in seiner Struktur ist das Kunsthaus reformbedürftig, wenn es seine Funktion erfüllen und nicht zum Kunstgrab verkommen will. Eine privatrechtliche Verfassung der Institute bei unverminderter öffentlicher Finanzierung scheint eine der Voraussetzungen für ihre Öffnung zum Publikum zu sein. Die Lösung von kameralistischen Zwängen und Fesseln schafft Freiräume zur Entfaltung unternehmerischer Initiativen und gewährleistet eine Öffnung der Häuser, die auf die legitimen Bedürfnisse der Besucher besser und flexibler reagieren kann. Ganz wichtig sind Öffnungszeiten, die auf die tatsächlichen Lebensgewohnheiten der arbeitenden Bevölkerung zugeschnitten sind, und es ihr und nicht nur Rentnern, Hausfrauen sowie selbständigen Ärzten und Anwälten gestattet, die Sammlungen und Ausstellungen in den Museen nicht nur am überfüllten Wochenende, sondern unter der Woche in ihrer Freizeit zu besuchen. Einen Schließtag, einen Tag ohne Kunst, darf es so wenig geben wie einen Tag ohne Bücher oder ohne Musik. Zum Abbau oder zur Überwindung der Schranken, die immer noch zu viele Menschen vom regelmäßigen Besuch abhalten, sind - fast - alle Verführungsstrategien erlaubt, sehr wohl auch interdisziplinäre, mit den gezeigten Inhalten Bezüge aufweisende Veranstaltungen im Museum bis hin zum Museumsfest. Dem Event rede ich dennoch nicht das Wort. Das Ereignis ist die Kunst selber, muß und wird sie immer bleiben. Mein ideales Haus ist deshalb kein Disneyland der Oberflächenreize, sondern der Ort der ungestörten und intensiven Betrachtung und Auseinandersetzung mit der Kunst, dafür wurde es geschaffen und wird es mit großem Aufwand betrieben. Dieses genaue Hinsehen ist Arbeit und Mühe, die dem Besucher nicht abgenommen, sondern nur erleichtert werden kann. Ich bin außerordentlich skeptisch gegenüber ausführlichen theoretischen Wandtexten, die den Betrachter in die falsche Sicherheit einlullen, deren bloße Lektüre vermöge das genaue Hinschauen zu ersetzen und die Tonbandführung, der Knopf im Ohr mit den wissensreichen, jeden eigenen Überlegungsansatz und Interpretationsversuch scheinbar überflüssig machenden Analysen des Direktors oder Ausstellungsmachers, scheint. mir den Zugang zur Kunst eher zu verstellen als zu öffnen. Stattdessen haben wir im Haus der Kunst in München neben dem bleibenden Angebot regelmäßiger Führungen, denen man sich kostenlos und ohne vorherige Anmeldung anschließen kann, die Funktion eines Ausstellungsbegleiters eingerichtet, ein junger Kunsthistoriker, der als Cicerone während der gesamten Öffnungszeit dem Publikum zur Beantwortung von Fragen und Erteilung von Erläuterungen zur Verfügung steht und zu jeder vollen Stunde die Besprechung und Analyse eines frei gewählten wichtigen Werks in der Ausstellung vornimmt. Wenn im Museum neben der intensiven Kunstbetrachtung ganz gelegentlich und wirklich als Ausnahmesituation eine Veranstaltung stattfindet, die noch über diese essentielle Rezeption der ausgestellten Werke hinausgeht, hat sie ihr immer zu dienen und muß in engem inhaltlichen Bezug zu ihr stehen. So haben wir im Haus der Kunst in München zu PopNächten in den Ausstellungen von Frank Stella und Richard Lindner eingeladen, zur Retrospektive von Francis Bacon Künstlervideos, die, wie Bacons Bilder, um die Themen Körperlichkeit und Erotik kreisen, und eine Tanzperformance von William Forsythe gezeigt, in der Bacons Obsessionen in den Tanz übersetzt wurden, und zu Ellsworth Kellys strenger, minimalistischer Kunst gab es zwei Nächte mit neuer amerikanischer Musik, teilweise halbszenische Werke von John Cage, Freund und Wegbegleiter des Malers, von Steve Reich, Philip Glass und Morton Feldman, aber auch die Uraufführung eines von uns in Auftrag gegebenen Werks eines jungen deutschen Komponisten, der in diesem Geist weiterarbeitet.

Die inhaltliche Motivation für die Planung solcher Veranstaltungen war und ist, denn natürlich wird die Reihe in lockerer Folge und immer dann, wenn sich inhaltlich ein Ansatz anbietet, fortgeführt, eine doppelte. Grenzüberschreitung und Interdisziplinarität gelten schon lange als wesentliche Kriterien der Kultur und Kunstvermittlung in allen Bereichen. Es muß immer wieder unser B~ streben sein, aufzuzeigen, daß künstlerische Manifestationen und Hervorbringungen verschiedener Disziplinen dem gleichen oder einem verwandten geistigen Klima entspringen und dies in der praktischen Arbeit auch dem rezipierenden Besucher deutlich zu machen. Aber natürlich beinhaltet die Veranstaltung namentlich von mit Musik verbundenen Kunstereignissen auch eine Verführungsstrategie. Wenn insbesondere jungen Menschen klar wird, daß die Musik, die sie so sehr lieben und die ein essentieller Teil ihres Lebens ist, Entsprechungen auf dem Gebiet der ihnen sehr viel fremderen bildenden Kunst hat, daß es hier Verbindungslinien und Geistesverwandtschaften gibt, werden sie auch auf die Bilder und Skulpturen neugierig. Die Hoffnung, daß von den jeweils zwischen drei- und fünftausend Besuchern in den Kunstnächten im Haus der Kunst, die im Museum ihre Musik genießen durften, zumindest einige auch dann wiederkommen werden, wenn diese zusätzliche Attraktion fehlt, ist begründet. Mit dem Einbezug von Lebenswelten ms Museum, die vielen Menschen realer erscheinen als diejenige der Kunst, soll das Museum nicht profaniert, aber von einer falschen, zur Routine verkommenen Sakralität befreit werden. Die Kunst und mit ihr das Museum, in dem sie aufbewahrt und gezeigt wird, muß Teil des Alltags sein, ein selbstverständlicher Aufenthaltsort wie das Kino oder die Kneipe, wenn auch in der Kunstbetrachtung ein sehr viel höherer Sublimationsgrad erreicht wird - der höchste überhaupt - als bei Kinogucken oder gemeinsamem Essen oder Trinken. Die Kunst gehört nicht einer Bildungselite, sondern allen Menschen und muß ihnen deshalb auch, so weit sich dies vernünftig organisieren läßt, jederzeit zugänglich sein. Ihre existentielle Wichtigkeit, ihr Ernst, ja auch ihre Erhabenheit werden dadurch weder gefährdet noch gar auf Spiel gesetzt. Wer der Kunst diese Unmittelbarkeit und Lebensimmanenz abspricht, reduziert sie zu einer redundanten Nebensache.