Editorial

Museumsland Schweiz:
Wachstum ohne Grenzen?
Tagung Winterthur - 25. September 1999

Öffentliche Gelder und Museen - wie verhält sich der Staat?
Dr. Andreas Spillmann, Leiter Ressort Kultur, Kanton Basel-Stadt




Meine Damen,
meine Herren

Zu hören ist, dass sich das Verhalten der Besucher verändert habe. Die Zapper-Generation wolle Interaktivität, keine geheiligten Hallen, keine Volkshochschulvorträge sondern individuelle Animation. Des weiteren liest man in der New York Times, die Konkurrenz unter den Museen sei destruktiv, das Marketing, das Fundraising vertreibe die Ideen und zwinge zum Opportunismus. Die Weltwoche wiederum stellt die Aussage zur Debatte "Nicht mehr Konservatoren sollen die Museen führen, sondern Manager und Marketing- Leute. Konservatoren sollen sich nur noch um die Sammlungen kümmern". Und zu guter letzt liest man in der FAZ, dass wir die Lieblingskinder von gestern, damit sind die Museen und ihre Leitungen gemeint, auf die Strasse zum Anschaffen schicken, sie zwingen, nicht ganz anständige Verbindungen einzugehen.

Wenn wir noch vom Schweizerischen Kunstverein hören, dass mittlerweile die Museumsdichte bei 65'000 Einwohner pro Kunsthaus liegt, und ich zugleich weiss, dass in Basel 6'500 Einwohner auf ein Museum fallen, beginne ich mich zu fragen, ob ich mich für die Einladung bedanken soll. Nun, ich will eine Antwort auf die Fragestellung dieses Symposiums wagen.



Wenige Zahlen zu Basel

Den Museen und insbesondere den Kunstmuseen kommt im kulturpolitischen Profil Basels eine gewisse Bedeutung zu: Basel verfügt über knapp 30 Museen, gibt hierfür Jahr für Jahr aus dem öffentlichen Budget 38 Millionen aus. Im Jahr 1980 haben 650'000 Personen die Basler Museen besucht. Im Jahr 1998 waren es immerhin 1'150'000. Die in den Jahren 1989 (Vitra Design Museum), 1996 (Tinguely Museum) und 1997 (Fondation Beyeler) eröffneten Museen haben den bisherigen Museen keineswegs Besucher weggeschnappt, sondern neue Museumsbesucher nach Basel geholt. Trotzdem, ich will nichts beschönigen. Die Zahlen zeigen, das Basler Kunstmuseum - und um Kunstmuseen geht es im heutigen Symposium - verlor in den vergangenen Jahren zwar nicht sein Publikum, verlor aber, gemessen an seinen Besucheranteilen, deutlich an Bedeutung: 1980 waren noch 40 % der Basler Museumsbesucher im Kunstmuseum, 1998 waren es 15 %. Diese Verlagerungen von öffentlichen Museen zu privaten Museen - nicht nur in Basel zu beobachten - sind für die Museumsbesucher nicht von Interesse. Museumsbesucher interessieren sich in der Regel für Ausstellungen und nicht für Finanzierungsstrukturen. Für einen Kulturbeauftragten hingegen ist diese Verlagerung sehr wohl von Interesse. Die öffentlichen Museen werden durch öffentliche Gelder finanziert. Es stellt sich damit die Frage nach der Legitimation dieser öffentlichen Zahlungen. Verstehen Sie mich richtig, ich spreche nicht von Legitimationszwang der Museen, sondern vom Legitimationszwang öffentlicher Mittel für diese Museen.


Legitimation und Amerbach

Die Kernfunktionen eines Kunstmuseums sind a) die eigenen Kunstsammlungen zu erweitern, das heisst zu erneuern, b) die Kunstsammlungen wissenschaftlich zu bearbeiten und zu dokumentieren sowie c) die Kunstsammlungen öffentlich zugänglich zu machen, auszustellen und zu vermitteln. Das ist teuer! Die öffentliche Kunstsammlung Basel erhält hierfür Jahr für Jahr ca. 12 Millionen Franken, exklusive der Investitionsausgaben. 15 Millionen werden zur Zeit in die öffentliche Kunstsammlung Basel investiert, diese Gelder gehen aber in Sicherheitsanlagen, Ausstellungswände und ein bisschen Beleuchtung.

Gibt es eine Legitimation für diese Millionen der öffentlichen Hand? Museen sind unbestritten von öffentlichem Interesse, aber wären sie nicht auch privat zu finanzieren? Sicherlich gibt es Beispiele hierfür, doch können wir uns allein auf private Mäzenen, Gönner und Sponsoren verlassen?

Es gibt Private, die finanzieren tatsächlich einen Museumsbau. Aber den jährlichen Unterhalt, die nach drei, vier Jahren anfallenden Ersatzinvestitionen? Private helfen den Museen Sonderausstellungen zu finanzieren. Aber auch kleine, schwierige Ausstellungen?

Insbesondere sind Privatpersonen bereit, im hohen Masse Kunst zu sammeln, und diese privaten Kunstsammlungen finden häufig über kurz oder lang - vor allem Privatsammlungen von hoher Qualität - den Weg ins Museum. Erfreulicherweise, sie sollen ja öffentlich zugänglich sein.

Verallgemeinernd nenne ich das den Amerbacheffekt privater Kunstsammlungen, das heisst, die Unvermeidlichkeit, dass private Kunstsammlungen früher oder später von der öffentlichen Hand mitgetragen werden. Eines der ersten öffentlich zugänglichen Museen entstand in Basel Mitte des 17. Jahrhunderts: Basel erwarb die grossartige Kunstsammlung der Buchdrucker- und Gelehrtenfamilie Amerbach. Seither entstehen durch das Engagement kulturell interessierter Persönlichkeiten immer wieder private Sammlungen, die der Öffentlichkeit vermacht, durch langfristige Leihgaben zur Verfügung gestellt oder verkauft werden.

Nun hätte die Familie Amerbach in der unsrigen Zeit möglicherweise die Sammlung nicht verkauft, sondern - das wäre zumindest denkbar - ein eigenes privates Sammlermuseum bauen lassen, dies von Morger und Degelo, von Diener und Diener, von Herzog und de Meuron oder von Gigon und Guyer. Nun ein mögliches Zukunftsszenario (verstehen Sie bitte das folgende nicht als Herabwürdigung privater Museen, wir haben in Basel nicht den geringsten Grund dazu):
Der Neuheitswert des Museumbaus lässt nach, was sich in Besucherzahlen niederschlagen wird. Die Privatsammlung wird nicht mehr erweitert und erneuert, was sich ebenso in den Besucherzahlen niederschlagen wird. Sinkende Besucherzahlen heisst zugleich, insbesondere für Privatmuseen, sinkende Einnahmen. Zugleich häufen sich aber mittel- und langfristig die Ersatzinvestitionen, die Unterhaltskosten, das Familienkapital verteilt sich im Verlauf neuer Generationen auf deutlich mehr Köpfe und ein allfälliges Stiftungskapital wird knapp. Über kurz oder lang wird wiederum eine Kooperation mit der Öffentlichkeit gesucht, womit sich wiederum der Amerbacheffekt einstellt.

Die Tatsache, dass wir Jahr für Jahr ca. 38 Millionen für unsere öffentlich zugänglichen Sammlungen ausgeben, scheint angesichts des anhaltenden grossen Interesses Basler Museumsbesucher sowie angesichts des über kurz oder lang sich einstellenden Amerbacheffekts gerechtfertigt zu sein und ist damit legitim.

Sehen Sie, eine Kunstsammlung aufzubauen - sei es mit Ankäufen, Legaten oder mit privaten Schenkungen -, eine Kunstsammlung der eigenen Region und ihrer Bevölkerung zu vermitteln, braucht Zeit und Kontinuität, insbesondere budgetäre Kontinuität. Diese Kontinuität gewährleistet in erster Linie der Staat. Darin sehe ich eine Staatsaufgabe aller ersten Ranges.


Wie soll sich der Staat verhalten?

Die Beantwortung der Legitimationsfrage beinhaltet noch keine Antwort auf die Frage, wie der Staat die ihm zugeordnete Verantwortung wahrnehmen soll. Die vorliegende Frage "wie verhält sich der Staat?" werde ich versuchen, nicht positivistisch, sondern normativ zu beantworten. Im Vordergrund meiner Antwort steht a) die Entpolitisierung der Museumsspielräume, b) die Erhöhung der Investitionsbereitschaft und c) das Tragen politischer Verantwortung.

Entpolitisierung von Museumsspielräumen

Die öffentlichen Museen sind konsequent von sämtlichen bürokratischen Zwängen und Fesseln zu befreien. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass öffentliche Museen wie private im Rahmen ihres öffentlichen Auftrages unabhängig und frei agieren müssen. Für die Basler Museen ist in diesem Sommer ein neues Museumsgesetz verabschiedet worden: die Museumsleitungen verfügen in Zukunft über ein Globalbudget, über mehrjährige Ankaufskredite, über mehrjährige Kredite für Sonderausstellungen und - gewiss im Rahmen ihres öffentlichen Auftrages - über die alleinige Entscheidungskompetenz sämtlicher museumsbetrieblicher Fragen. Sie sind damit unabhängig von politischen Gremien, sei es die Legislative, die Exekutive oder die Verwaltung. (Ausgenommen von diesem Anspruch sind die Investitionsentscheide, ich komme hierauf zurück).

Auffallend am Basler Modell ist, dass die fünf öffentlichen Museen weiterhin Teil der Verwaltung und ihre Sammlungen Teil des Verwaltungsvermögens bleiben. Das heisst, der erweiterte unternehmerische Spielraum der Museen ist ohne Privatisierung möglich geworden. Warum? Wir wollten keine Zeit mit Ideologiediskussionen verlieren.

Ein Museum erhält sein Gesicht, seine Unverwechselbarkeit, zum einen über die eigene Sammlung und zum anderen durch die Person, die das Museum leitet. Deshalb muss der Staat nicht nur einen klugen Personalentscheid treffen, sondern in grossem Vertrauen gegenüber den eigenen Museumsleiterinnen und Museumsleitern Kompetenzen abgeben. Im heutigen Umfeld können Museumsleitungen nur in einem von legalistischen und bürokratischen Zwängen befreiten Umfeld arbeiten. Das ist entscheidend und nicht, ob sie in einem rein öffentlichen, rein privaten oder halböffentlichen Umfeld agieren.


Erhöhung der Investitionsbereitschaft

Wir wissen alle bestens, dass sich Sammlungen nicht mehr von alleine vermitteln lassen. Entscheidend ist nicht mehr allein, was gezeigt wird, sondern vor allem wie dieses Was gezeigt wird. Die attraktive und kompetente Präsentation einer Sammlung erfordert Investitionen, nicht zuletzt auch bauliche Investitionen.

Es ist nun ein grosser Irrtum zu glauben, man könne bauliche Investitionen, z.B. in Ausstellungsräumen, allein privaten Gönnern, Mäzenen und Sponsoren überlassen. Beiträge von Mäzenen und Sponsoren sind immer matching grants: Das heisst, private Geldgeber setzen für ihre Geldleistungen Leistungen des Staates voraus. Private Geldgeber wollen öffentliche Mittel nicht substituieren, sondern komplementär ergänzen. Übrigens ist das öffentliche Engagement in Investitionsfragen aus einem weiteren Grund dringend erforderlich. Die öffentliche Hand, die die Finanzierung von Investitionen allein privaten Geldgebern überlässt, untergräbt die Autorität ihrer Museumsleitung und damit ihre Unabhängigkeit.


Tragen von politischer Verantwortung

Die Politik hat auch die Aufgabe, den von ihr gewählten Leitern und Leiterinnen eines Theaters, eines Literaturhauses oder eines Museums den Rücken frei zu halten. Das heisst, Gesellschaftsprozesse wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. Beispiele gibt es hierfür ausreichend, ich gehe auf das veränderte Publikumsverhalten ein. Es ist wohl so, dass wir alle zugeben müssen, dass sich das Publikumsverhalten sei es im Theater, im Konzert oder in einem Museum in den vergangenen zehn Jahren verändert hat: Das über längere Zeit konzentrierte und aktive Betrachten und Zuhören geht etwas verloren und wird ersetzt von einer Hinwendung zu kurzzeitigen und spektakulären Erlebnissen und Eindrücken. Ich habe grossen Respekt vor Museumsleiterinnen und Museumsleitern, die sich dieser Entwicklung stellen, allerdings aber auch Verständnis für solche, die mit dieser Entwicklung noch nicht einher gehen können und ihr mit Zurückhaltung begegnen.

Im vergangenen Sommer haben wir gemeinsam mit der Kunstmesse Art ein Happening organisiert. Wir nannten es ArtZappening! Über dreissig Kulturhäuser haben im Umkreis des Theaterplatzes ihre Häuser mit freiem Eintritt für eine Samstagnacht geöffnet. Zu sehen war neben dem Gewohntem vor allem Ungewohntes:

Lesungen, Modeschau, Konzerte, HouseParty. Die Kulturhäuser boten - ich sags mit Absicht - Events an, jeweils von einer Dauer von einer halben Stunde und mit Wiederholungen; mit anderen Worten, man konnte sich in dieser Samstagnacht durch das Basler Kulturleben ganz individualistisch durchzappen. ArtZappening war nicht nur publikumsmässig ein Erfolg - die Museen waren teilweise so voll, dass man nicht mehr reinkam - ein Erfolg war ArtZappening insbesondere, weil die Museen feststellen konnten - vorallem diejenigen, die mit dem Zappverhalten des jungen Publikums Probleme hatten -, dass am Sonntagmorgen kein Aus-stellungsobjekt zerdeppert oder geklaut war, ihr Haus keinen Schaden nahm, insbesondere keinen Imageschaden.

Der Staat soll durchaus verantwortungsvoll Initiative zeigen dürfen. Die Entpoliti-sierung und Entbürokratisierung von Museumsspielräumen, die Erhöhung der In-vestionsbereitschaft und das Tragen von politischer Verantwortung sind Schritte in diese Richtung.


Wie soll sich das Museum verhalten?

Die Frage, die die Organisation des Symposiums mir stellte " wie verhält sich der Staat" schloss sicherlich mit ein, was der Staat von den Museen erwartet. Auf die-se Frage - es ist eigentlich die Frage nach dem öffentlichen Auftrag, nach dem Leistungsauftrag eines Museums - will ich zum Schluss eingehen.

Es gibt eine breite Literatur zur Frage, was in einen Leistungsauftrag gehört. Es gibt eben so eine breite Diskussion in den Feuilletons hierzu. Soll z.B. der Staat ein Sammlungskonzept vorgeben? Denkbar wäre, dass wir vorgeben, es sei ins-besondere neue Kunst anzukaufen, da Sammlungen vor allem zu erneuern seien und zudem die Ankaufskredite für den Ankauf von ausschliesslich Meisterwerken sowie so nicht ausreichen würden. Aber, ich stelle die Frage, müssen wir Laien dies einem Profi vorgeben? Das wäre mir peinlich.

Gehört aber vielleicht ein Hinweis in einen Leistungsauftrag, wie Sammlungen zu vermitteln seien? Z.B., es sei mit Wechselausstellungen die eigene Sammlung ständig neu zu präsentieren, um neue Bezüge herzustellen und sie für das Publi-kum neu erlebbar zu machen? Sollte nicht auch das selbstverständlich sein? Sollen wir Soll-Besucherzahlen vorgeben, sollen wir Soll-Zahlen für Sonderaus-stellungen vorgeben?

Der beste Beweis, dass wir die von uns eingesetzten Museumsdirektorinnen und Museumsdirektoren ernst nehmen, wäre doch ein öffentlicher Leistungsauftrag mit einer Zeile:

Sammeln Sie Kunst, stellen Sie sie aus und machen Sie das gut!