Editorial

Museumsland Schweiz:
Wachstum ohne Grenzen?
Tagung Winterthur - 25. September 1999

Leistungsauftrag, Marketing, Controlling: Schöne neue Museumswelten
Dr. Caesar Menz, Direktor, Musée d’art et d’histoire, Genf




"A museum is a museum is a museum. " Dieses abgewandelte Gertrude Stein-Zitat pflegte Wolf-Dieter Dube als Generaldirektor der Berliner Museen jeweils zu verwenden, wenn es ihm darum ging, darauf hinzuweisen, dass das Kapital des Museums primär aus seiner Sammlung besteht, die es zu konservieren, zu erforschen, auszubauen und zu vermitteln gilt, eine Arbeit, die auf Dauer angelegt ist und deren Vollendung Jahrzehnte in Anspruch nimmt.

Unser Auftrag ist also primär ein wissenschaftlicher und konservatorischer sowie - immer stärker - ein pädagogischer. Im 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert war dieser Auftrag auch gesellschaftlich klar definiert und anerkannt. Private Trägerschaften oder die öffentliche Hand stellten die Mittel zur Verfügung, die Sammlungen auf- und auszubauen und Häuser zu errichten, die es erlaubten, die Bestände in einem entsprechenden Rahmen zu präsentieren. Die Museumsarchitektur gehörte denn auch zu den vornehmen Bauaufgaben des vergangenen Jahrhunderts und erlebt heute eine Renaissance. Konservatoren profilierten sich als Sammler und glänzten durch Gelehrtheit und Kennerschaft. Ihr Hauptaugenmerk galt der Sammlung. Der Besucher war im Museum willkommen, mehr nicht.

Ein Museum kann sich heute nicht allein durch die Qualität der Bestände sowie deren wissenschaftliche Bearbeitung profilieren. Es hat « events » zu liefern und gleichzeitig eine Museumsarchitektur, die so spektakulär ist, dass sie in sich selbst ein « event» darstellt. Events heisst in der branchenüblichen Prosa Sonderausstellungen möglichst mit « namedroping », « golden ages » und « tresors ». Kurz: das Museum als Gans, die goldene Eier legt.

Es ist nicht die Gesellschaft, die uns auf diesen Pfad geführt hat, die Museen haben ihr Angebot selbst erweitert, wollten - und wollen noch - durch immer aufwendigere Ausstellungen die Gunst des Publikums für sich gewinnen, selbstverständlich in der ehrenvollen Absicht, dem Besucher etwas zu bieten.

Unser Angebot im Sortiment ist inzwischen so riesig geworden und das Publikum so konditioniert, dass nur noch das scheinbare Topangebot wahrgenommen wird. Und wie leichtfertig wird in diesem Buhlen um die Besuchergunst der viel beschworene Grundsatz aufgegeben, ~s eine Ausstellung nur dann Sinn macht, wenn sich ihre Notwendigkeit auch wissenschaftlich begründen lässt.

Museen arbeiten dabei untereinander in einer Konkurrenzsituation im « Kulturmarkt », ein Begriff, den man früher mit Verachtung gestraft hätte, der sich aber immer mehr einbürgert.

Die Medien und das Publikum reagieren in dieser Kür als Schiedsrichter, die diese Vermittlungsleistungen mehr oder weniger gerecht kommentieren. Wie bei einem Privatsender zählt die Einschaltquote und die Besucherzahl wird zum « shareholder-value » der Trägerschaften, seien sie privat oder öffentlich.

Sponsoren, die den « return on investment » genau zu analysieren haben und dies ist kein Vorwurf -, sondern liegt in der Logik dieses privaten Engagements, werden zuerst in Ereignisse investieren, die die grösste positive öffentliche Aufmerksamkeit versprechen, zu einem Werbeauftritt verhelfen und zur Imagepflege beitragen. Auch politische Entscheide um Subventionen und Investitionen lassen sich durch Prestige, Erfolg und Ausstrahlung von Sonderausstellungen beflügeln.

Museen sind heute Teil einer Freizeit- und Unterhaltungsindustrie geworden, an die immer stärker auch die Forderung herangetragen wird, einen Teil ihrer Aufwendungen selber zu erwirtschaften, sei es über Sponsorenmittel, Erlöse aus Eintritten, den Verkauf von Produkten in Boutique und Bookshop. Museumsdirektoren sind, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht, zu Unternehmern geworden, ihre Ausbildung als Kunsthistoriker, Archäologen oder Historiker reicht nicht mehr aus, diese komplexen Aufgaben zu erfüllen. Mit Stolz lies kürzlich die Stadt Schaffhausen via Medienmitteilung vermelden, sie hätte eine neue Direktorin ihres Museums zu Allerheiligen gefunden, die nicht nur Kunstgeschichte studiert, sondern sich auch durch ein Postgraduate-Studium an der Handelshochschule St. Gallen entsprechende Kenntnisse in Marketing und Kommunikation angeeignet hätte. Für die Nachfolger der Leiter der Öffentlichen Kunstsammlung Basel und des Kunsthauses Zürich werden selbstverständlich Management-Qualitäten gefordert, nebst Profilierung durch Ausstellungen und wissenschaftliche Arbeit. Französisch würde man sagen, man suche das seltene < mouton a cinq pattes ».

So gilt es in dieser allgemeinen Suche nach dem schnellen Erfolg, das 1~4 Museum in Dynamik zu halten, die Sponsoren und das Publikum für sich zu gewinnen und einen Rückfall ins « verstaubte » Museum des 19. Jahrhunderts zu verhindern.

Grundsatzdiskussionen über die eigentlichen Aufgaben eines Museums, über seine Sammlungs- und Ausstellungspolitik, über seinen gesellschaftlichen Stellenwert finden kaum mehr statt. Und spätestens an dieser Stelle würde Mark Twain lakonisch feststellen: « Seit dem wir das Ziel aus den Augen verloren haben, verdoppeln wir die Anstrengungen ».

Im Kampf um die Eroberung des breiten Publikums, das vermehrt in Ausstellungsinstitute ohne eigene Sammlung abwandert, denen es primär um Ereigniskultur geht, die unterhalten und ergötzen wollen und moderne Marketingmethoden geschickt einsetzen, müssen sich die Museen dem Publikum gegenüber neu und klarer positionieren. Unser Kapital bleibt dabei die Sammlung und oft auch das Haus selbst, dessen architektonische Schönheit leider in vielen Fällen etwas in die Jahre gekommen ist.

In der Hektik des Ausstellungsbetriebs ist die Erschließung und der Ausbau der Sammlung oft vernachlässigt worden. Der Attraktivität der Sammlung wie auch der Präsentation im Haus selbst ist deshalb vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken. Die Ausstellungspolitik von Museen ist nur dann sinnvoll und kohärent, wenn der Bezug zur eigenen Sammlung gewahrt bleibt, wenn sie zu deren Ausbau wie auch zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des gewählten Themas führt. Seien wir uns in diesem Zusammenhang bewusst, dass das genuine Operationsfeld der

Kunstgeschichte noch immer das Museum ist. Das Museum versteht sich als Instrument kunsthistorischen Erkenntnisgewinns, der durch kontinuierliche Arbeit am Bestand, dessen Kommentierung und dialogische Belebung durch Ausstellungen erreicht wird. Dass so konzipierte und motivierte Ausstellungen auch zu einem Publikumserfolg führen können, beweist die National Gallery in London seit einiger Zeit.

Wir dürfen das Publikum nicht unterschätzen und es schnöde mit Fastfood Veranstaltungen abspeisen. Unsere Aufgabe besteht darin, die Kultur weiterzuentwickeln und nicht darin den Publikumsgeschmack zu bestätigen. Da wir einen Kultur- und Bildungsauftrag zu erfüllen haben, müssen wir die Publikumsbedürfnisse einer Freizeitgesellschaft sorgfältig analysieren und für unsere Zwecke nutzen. Auch ist es in diesem Zusammenhang dringend notwendig, uns um unser Publikum von morgen zu kümmern und die museumspädagogischen Dienste so auszubauen, dass sie in der Lage sind, ein fesselndes Programm für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene zu bieten, das Publikum an das Museum zu binden, es für seine Inhalte zu begeistern. Dies ist eine Investition in die Zukunft.

Das Publikum darf nicht als Chimäre betrachtet werden, das sich als amorphe Masse im Museum einfindet. Gezielte und regelmässige Publikumsumfragen können Aufschluss geben über seine Zusammensetzung, seine Interessen, seine Verhaltensweisen, sie sind aber auch Kontrollinstrumente beispielsweise für den Erfolg unserer Werbeaufwendungen, die Qualität des Empfangs oder die Effizienz der gewählten Vermittlungsmethoden. Durch Nicht-Besucher-Umfragen kann herausgefunden werden, aus welchen Gründen ein Teil der Bevölkerung das Museum meidet, wo die vielzitierte Schwellenangst zu orten ist.

Museen sind heute Unternehmen geworden, die organisatorisch klar strukturiert werden müssen, die Strategien und Leitbilder für die Zukunft zu entwickeln haben. Wie private Unternehmungen sind sie verpflichtet, die zu erreichenden Ziele mit ihren Trägerschaften festzulegen. Sie müssen über Personal, Finanzen, Infrastruktur, also über die nötigen Ressourcen und Instrumente verfügen, die es erlauben, diese Ziele zu erreichen. Neben wissenschaftlichen und konservatorischen Stellen, sind Dienste für Marketing, Kommunikation, Museumspädagogik, Controlling usw. auf- und auszubauen.

Finanzen und Personal werden aber in der Regel nur dann bewilligt, wenn Zielvereinbarungen bestehen zwischen Trägerschaft und Institution und entsprechende Planungsinstrumente in Form von Leitbildern, Konzepten in der Ankaufs- und Sammlungspolitik, Finanzierungsplänen, Masterplänen für den Ausbau und die Personalentwicklung.

Die Institution muss wissen, was sie will, mit welchem Profil, mit welchen Inhalten sie zu arbeiten beabsichtigt, welchen wissenschaftlichen Standard sie zu erreichen gedenkt, welche Bedeutung sie dem Haus verleihen will.

Matthias Frehner bemerkte kürzlich in einem Artikel in der « Neuen Zürcher Zeitung », die traditionellen Schweizer Museen seien für heutige Bedürfnisse zu uniform, es gäbe überall mehr oder weniger das gleiche Angebot. Er empfiehlt den Museen eine spezifischere Profilierung, rät zu mehr Originalität, zum Ausbau von attraktiven Sammlungsschwerpunkten. Vielleicht muss sich ein Museum periodisch selbst neu erfinden.

Wichtig erscheint mir, dass wir die einmal definierten Inhalte und Ziele mit Engagement und Begeisterung (wir leben schliesslich im Zeitalter der Infomotion ) kommunizieren, dass wir Überzeugungsarbeit leisten bei den Trägerschaften, den Politikern, den Sponsoren, aber auch beim Publikum.

Die Genfer Museen, die ich leite, geben dreimal jährlich eine Zeitung heraus, die nicht allein das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm vorstellt, sondern auch die Arbeit hinter den Kulissen beleuchtet und über die allgemeine Politik des Museums, seine Pläne und Absichten informiert und wirbt. Die Zeitung ist inzwischen so beliebt, dass sie von den Leserinnen und Lesern über freiwillige Beiträge finanziert wird. Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht, dass das Expo 0l-Debakel im Grunde Kommunikationsdebakel ist. Die Macher waren unfähig, die Inhalte des Projekts zu kommunizieren.

Die Arbeitsmethode der Leistungsverträge ist im Zuge des New Public Managements entwickelt worden. Sie gibt dem Museum, wie das holländische Beispiel mit der Umwandlung der Museen in öffentlich-rechtliche Stiftungen eindrücklich zeigt, mehr unternehmerische Freiheit und verpflichtet die Trägerschaft, zu festgelegten Grundleistungen. Die Institution/ das Museum ist seinerseits gezwungen, die zu erbringenden Leistungen genau zu beschreiben und gemeinsam mit der Trägerschaft messbare Kriterien für die Leistungserbringung zu formulieren. So kann sich weder die Trägerschaft noch die Institution aus der Verantwortung stehlen.

Die Einführung dieses Modells würde es uns ermöglichen, endlich das zu tun, was wir aus innerster Überzeugung tun wollen und müssen sowie verhindern, dass wir weiterhin zum Spielball zwischen Politik, Medien und Publikumsgeschmack werden: schöne neue Museumswelten.