Editorial

Museumsland Schweiz:
Wachstum ohne Grenzen?
Tagung Winterthur - 25. September 1999

Ein eigenes Museum
Dr. h.c. Ernst Beyeler, Fondation Beyeler, Riehen


WACHSTUM OHNE GRENZEN - MUSEUMSLANDSCHAFT SCHWEIZ
Vortrag in Winterthur vom 25. September 1999


Sehr geehrte Damen und Herren,


Um es gleich zu sagen: Museen haben wir mehr als genug, erstklassige Ausstellungen nie. Die heutige Situation ist nicht in den Griff zu bekommen. Es scheint so weit zu kommen wie im Mittelalter, wo jeder vermögende eine eigene Hauskapelle errichtet hat. Dies hat uns auch sehr lange zögern lassen ein eigenes Museum - das Thema, das man mir gestellt hat - zu errichten, denn ursprünglich war es schon die Absicht unsere Bilder dem Basler Kunstmuseum zu schenken. Mit der ähnlichen Kunst Palette schien aber dort ein Beyeler Flügel, oder eine Integration der Sammlung - ohne die aussereuropäischen Skulpturen - und darüber hinaus 40 - 50% der Sammlung im Depot, nicht sinnvoll. Statt also die bereits grossartige Sammlung des Kunstmuseums numerisch zu verstärken schien uns wichtiger, ausserhalb der Stadt eine Ergänzung und eine Bereicherung mit einem Landhaus wie früher die Sommerhäuser wohlhabender Bürger zu schaffen. Ferner mit den Gruppen afrikanischer und Südsee Kunst nicht nur einen Dialog mit westlicher Kunst, sondern auch eine Synthese der beiden Museen, demjenigen für Kunst und dem der Kulturen zu gestalten, was sich schon in schönster Kooperation in den bisherigen Ausstellungen niederschlug, auch unter Einbezug des Tinguely Museums. Ausstellungen, welche auf dem Sammlungsbestand fussen und bis in die Gegenwart führen sollen. Wir machen die Erfahrung, dass auf diese Weise Gegenwartskunst viel leichter aufgenommen und akzeptiert wird. Wir, das heisst unser Team mit dem Kurator Markus Brüderlin erweitern die Ausstellungen mit Aktivitäten, die jeweils eng mit den Werken in Zusammenhang stehen. Wir dürfen feststellen, dass die doch kompakte Sammlung mit starken Werkgruppen in der hervorragenden Architektur von Renzo Piano, eingebettet in der schönen Parklandschaft eine Synthese geschaffen haben, die immer wieder als magischer Ort empfunden wird. Wir möchten in direkter oder auch heimlicher Weise auf ein intensives Schauen von Kunstwerkell hinführen. Das heisst es geht uns nicht um mehr odcr weniger artfremde "Events", die die Betriebsamkeit anheizen wollen. Vielmehr zeigen wir, dass die bildende Kunst, auch die "klassische", scheinbar in sich abgeschlossene, mit verschiedellstell Gebieten in Zusammcnhang steht. Das geschah bei uns zum Beispiel mit Musik von Arnold Schönberg zur Kandinsky Ausstellung, Debussy zu Claude Monet, Feldmann zu Rothko, Jazz zu Liechtenstein, auch mit Poesie und Tanz oder gar Beiträgen zur Schönheitschirurgie anlässlich der "Face to Face to Cyberspace" Ausstellung. Wir legen Wert auf vielfältige Arten von Kunstvermittlung und machen auch gute Erfahrungen mit ständigen Seniorenführungen.

Die Stiftung selbst will und darf keinen Handel treiben. Wenn aber ein Sammler anzeigt, dass ein Bild von der Fondation erworben oder verkauft werden könnte, nehmen wir einen solchen Spesenbeitrag über die Galerie, die ja auch in Zukunft die Stiftung alimentieren soll, gerne entgegen. Um so mehr als wir im Verhältnis zum Aufwand - immerhin beschäftigen wir über 100 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen - nur einen bescheidenen Staatsbeitrag beanspruchen. Das Schaffen von Zusammenhängen kann auch einmal über die Museumsmauern hinausgreifen. Zur "Magie der Bäume" Ausstellung haben Christo und Jeanne-Claude 178 Bäume verhüllt zu einem Kunstwerk, das sich während den schnellen und starken Klimawechseln dramatisch oder poetisch in Szene setzte, was auch Besucher ins Museum brachte, die noch nie ein solches betreten hatten. Was auf diese Weise in den zwei Jahren des Bestehens der Fondation Beyeler wie selbstverständlich mitgewachsen ist, könnte man ein "Netzwerk aus Kunst und Leben" nennen. So führte meine lange Verbundenheit mit den Organisatoren von Greenpeace und WWF zum Einbinden der Umweltschutzbestrebungen in unser Baumprojekt. Zum ersten Mal erhielten Greenpeace und WWF eine gemeinsame Plattform um auf das Abholzen der Regenwälder hinzuweisen und nicht nur neue Kreise für diese überlebenswichtigen Institutionen zu gewinnen, sondern diesen gleichzeitig zu gewichtigen finanziellen Beiträgen zu verhelfen. Auch diese Ereignisse waren verbunden mit Referaten, Musik, Menschen, wie mit Paul Sachers letztem Konzert mit dem Basler Schlagzeugensemble . So und anders möchten wir immer auch essentielle und existentielle Probleme beleuchten. Schon Matthias Frehner von der NZZ hat angeregt, dass in Zukunft Schweizer Museen mehr im Pool zusammenarbeiten. Das ist besonders wichtig für Ausstellungen, die neue Zusammenhänge zeigen und in Museen verstreute Einzelwerke zusammenfassen und zu eindrucksvoller Wirkung bringen.

Für unsere Ausstellung "Cezanne und die Moderne" im Oktober erhalten wir Leihgaben aus dem Zürcher Kunsthaus. Wir leihen im Jahr 2000 unsere Bilder nach Zürich zu "Cezanne - vollendet - unvollendet". Solche Ausstellungen brauchen durchaus nicht immer so nahe zusammen zu kommen, aber es ist Zufall, dass uns gerade jetzt eine grössere Gruppe von Cezanne Bildern, die in direkten Dialog mit Werken unserer Sammlung gestellt werden, zur Verfügung stehen. - Im übrigen verträgt Cezanne zwei Ausstellungen mit verschiedener Themenstellung. Mit dem jetzt begonnenen Anbau wollen wir unser Museum vergrössern, aber nur um eine Optimierung der Ausstellungsfläche und im Untergeschoss Raum für Gegenwartskunst, Veranstaltungen und Büroräume zu schaffen. Wir jedenfalls möchten nicht unbegrenzt weiter wachsen, nur punktuell und qualitativ, und den Anschluss an die Gegenwart durch Wechselausstellungen realisieren.

Wir haben der "Expo" vorgeschlagen, eine virtuelle Schau der wichtigsten Kunstwerke der Schweiz mit der neuesten Reproduktionstechnik zu verwirklichen, wie beispielsweise: Die Wandmalerei in Mustair, die Decke von Sankt Martin von Zillis, Konrad Witz aus Genf, Niklaus Manuel aus Bern, Holbein aus Basel, Füssli aus Zürich, Segantini aus Sankt Moritz, Hodler, Klee, Sophie Täuber, Giacometti zum Tinguely Brunnen in Basel bis zu Fischli / Weiss. Eine Ausstellung, die dann anschliessend weltweit auf Tournee gehen und auch als spannendes Video produziert werden könnte - aber die Idee scheint wie vieles andere auf der Strecke geblieben z.u sein. Vielleicht kann oder will da der Verband der Museen weitermachen. Das wäre eher Fremdenverkehrswerbung, kann man einwenden. Aber das Projekt ist ja zuerst für den Eigengebrauch gedacht und wäre auch angesichts der zunehmenden Klimaverschlechterung eine Chance für die Museen und gleichzeitig eine Alternative für das Fremdenverkehrsland Schweiz, das sich zu diesem Thema sowieso einiges einfallen lassen muss. Um es drastisch zu sagen: In Regensommern und bei schmelzenden Gletschern können Museen Arche Noah spielen. Ich glaube im Übrigen, dass uns in der Zukunft nicht bange um die schweizerische Museumslandschaft zu sein braucht, denn wenn ich nur einen Blick in die letzte Nummer des Zürcher Kunst - Bulletin werfe, sind da ausser der grossen Ausstellung des erfindungsreichen und apokalyptischen Harald Szeemann in wenigen Anzeigen folgende Namen aufgeführt: Brice Marden, Laib, Paik, Gertsch, Richter, Sammlung Burgauer, R. Buckminster Fuller und die Nasca Ausstellung. Solche Lebendigkeit ist wünschenswert, damit auch nach 2000 mit den Künstlern und mit der Erfindungsgabe der Museen, eine nie langweilige, sondern eine lebendige Museumsszene erhalten bleibt. Kein Zweifel, dass die Anforderungen an die Museen grösser und vielseitiger werden. Um diese Anstrengungen zu unterstützen ist einerseits der kenntnisreiche, aber auch lustvolle Einsatz der Museumsleute nötig, anderseits die stetige Präsenz in der Presse und im Fernsehen, wie auch in den übrigen Medien sehr wichtig.

Zum Thema "Schweizerische Museumslandschaft - Wachstum ohne Grenzen" möchte ich an den vorerwähnten Pool-Vorschlag, mit einer wohl kaum neuen Idee anknüpfen und statt Wachstum, Vertiefung und Konzentration anregen und ein virtuelles Schweizer Top Museum propagieren, indem sich immer wieder einige Museen um ein Thema gruppieren und sich zu gleichzeitigen Ausstellungen vernetzen, zum Beispiel von den Römern in der Schweiz, monografischen oder Überblicksausstellungen bis zur Gesamtdarstellung der Gegenwart. Damit soll Kantons- und Sprachgrenzen überspringend, auch immer wieder Schweizerische Identität hergestellt werden. Im Sinne von: "Oui, la Suisse existe!" nicht nur als Idee, sondern sehr real. Die kürzlichen, privaten Sammlungsausstellungen gingen in diese Richtung. Für solche Ausstellungen von hohem Qualitätsniveau, mit einem Kurator beziellungsweise Koordinator mit genügend Kompetenzen um Zentrumsfunktionen wahrzunehmen und einem kleinen Stab, Studenten und Volontären, sollte von Sponsoren und Bund ein mit je 5 Mio Franken dotierter Fonds bereitgestellt werden, der von einer Museumskonferenz und Pro Helvetia verwaltet wird. Sie können nicht nur an den Orten der besitzenden Museen, sondern mit Abgeltung für die Zentrumsfunktion grosser Museen auch an kleineren Orten gezeigt werden. Natürlich sollte auch die Jugend durch Wettbewerbe einbezogen und damit jeweils an die anderen Orte gelockt werden.

Ein Konzentrat dieser Ausstellungen kann immer auch ins Ausland gehen, um europäisch und weltweit zu wirken und das Image der Schweiz zu stärken. Umgekehrt könnte dieses virtuelle Museum Schweiz auch Ausstellungen aus dem Ausland übernehmen, koordinieren und verteilen. Zum Beispiel Manet in Basel, Gauguin in Genf, Monet in Zürich, Bonnard in Winterthur, usw.. Je 30 Werke plus Zeichnungen wären genügend, mit einem gemeinsamen Katalog. Das ist aber nur möglich wenn die Schweiz, auch ohne Kulturartikel "Indemnity" Garantien abgibt, wahrscheinlich für eine relativ bescheidene Versicherungsprämie für den Bund, denn sonst sind die steigenden Versicherungsprämien nicht mehr zu verkraften. Andere Länder haben diesen Vorteil schon lange. Der Föderalismus hat unsere Städte zu schönster Blüte gebracht. Aber jetzt müssen wir in grösseren Masstäben denken und planen, wenn die Museen mithalten sollen. Wenn wir wollen, können wir es vereint schaffen. Alle diese Aktivitäten müssten ja im Interesse von Bund, Industrie und Handel, dem Fremdenverkehr und schliesslich von uns allen liegen.


Ein Museum Schweiz ohne Sammlung an diesem Anlass als Wunsch und Absicht formuliert, könnte eine der Antworten sein nicht nur auf die heutige Fragestellung: Wachstum ohne Grenzen - Museumslandschaft Schweiz.