Editorial

Museumsland Schweiz:
Wachstum ohne Grenzen?
Tagung Winterthur - 25. September 1999

Sammler und Museum
Dr. Felix Baumann, Direktor, Kunsthaus Zürich


Wenn man sich zum Thema Sammler und Museum äussert, kommt man nicht umhin festzustellen, dass Sammeln tiefere Wurzeln in der Geschichte aufweist als die Institution Museum. Und gerade in der Schweiz kann wie kaum anderswo dieser Zusammenhang an einem hervorragenden Beispiel illustriert werden. 1661 drohte nämlich der Verkauf durch die Erben des berühmten Basler Amerbach-Kabinetts an einen Amsterdamer Kunsthändler. Auf Initiative einiger Professoren der Basler Universität haben der Rat der Stadt unter Führung des Bürgermeisters Johann Rudolf Wettstein zu 2/3 und die Universität zu 1/3 den Kaufpreis von 9000 Reichstalern aufgebracht, um so die damals bereits 100 Jahre alte Sammlung - Gemälde und Zeichnungen, darunter mehrere Werke von Holbein, Druckgraphische Blätter, Münzen, u.a.m. für die Bürger der Stadt zu erhalten. So ist dieses private Kunstkabinett zur ersten und ältesten der heute noch bestehenden Kunstsammlungen in öffentlichem Eigentum geworden. Nichts könnte deutlicher als diese Entstehungsgeschichte der öffentlichen Kunstsammlung Basel zur Anschauung bringen, dass öffentlicher Kunstbesitz und privates Sammeln in allerengster Verbindung stehen. Die Geschichte zeigt aber auch auf, dass der private Kunstbesitz dem öffentlichen vorausgegangen ist. Nun ist allerdings das frühe Entstehungsdatum der öffentlichen Kunstsammlung Basel die Ausnahme. Ausnahme nicht zuletzt auch deshalb, weil der Sammler, der Basler Rechtsgelehrte Basilius Amerbach, 1533 - 1591, nicht zu derjenigen Gesellschaftsschicht gehörte, aus der sich die Sammlerpersönlichkeiten in vorrevolutionärer Zeit, d.h. bis ans Ende des 18. Jahrhunderts, normalerweise rekrutierten. Sammeln war primär das Vorrecht der weltlichen und kirchlichen Fürsten. Das Akkumulieren von Kunstwerken, seltenen Gegenständen, sei es als Memorabilia, als Curiosa aus dem Bereich der Natur oder sei es als Artefakte von Menschenhand in den sogenannten Kunst und Wunderkammern, kurz das Sammeln wurde seit der Renaissance zu einem mehr oder weniger permanent praktizierten Hobby des Adels. Als Beispiel der frühen Zeit sollen stellvertretend für viele weitere Sammlerpersönlichkeiten nur der Duc de Berry oder die Gonzagas in Mantua erwähnt werden. Regierenden Monarchen wie z.B. Kaiser Rudolf II. oder später Kaiserin Katharina der Grossen sind die unglaublichen Bestände in Wien beziehungsweise in St. Petersburg zu verdanken, wobei in Wien als weitere überaus bedeutende Sammlerpersönlichkeit aus dem Hause Habsburg Erzherzog Ludwig Wilhelm zu erwähnen ist. In England war das Kunstsammeln seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine besonders intensiv gepflegte Beschäftigung in Adelskreisen, was zweifellos mit der üblichen "Grand Tour", die in aller Regel nach Italien führte, in Verbindung zu bringen ist, wobei natürlich der Reichtum der grossen Häuser von nicht zu unterschätzender Bedeutung war, sodass im Grunde bis heute England zum schier unausschöpflichen Reservoir für den Kunsthandel an Altmeistergemälden geblieben ist.

Mit der französischen Revolution änderten sich die Verhältnisse nachhaltig. Die grossen Auftraggeber, die Fürsten und die Kirche, nahmen ihre jahrhundertelang ausgeübten Möglichkeiten und Verpflichtungen nicht mehr wahr. Und auf der andern Seite setzt nun die Zeit der Museen ein. Einen gewaltigen Innovations-Schub erlebte die Idee des Museums durch die 1793 erfolgte Gründung des Louvre-Museums mit der königlichen Sammlung und den Konf1skationen der Revolutionäre; hier fanden auch die von Napoleon aus Italien und Deutschland verschleppten Kunstwerke Aufnahme. Der Louvre hatte nicht zuletzt die Funktion, Vorbilder für die damals zeitgenössische Kunstproduktion zu vereinigen, d.h. das Museum war in jener Zeit ein Instrument derjenigen Institution, die über den offiziellen Geschmack wachte: die Akademie, die im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts ihre volle Machtposition entwickelte. Sie bestimmte, welcher angehende Künstler den "Prix de Rome" erhielt, wer in dem seit 1831 jährlich stattfindenden Salon ausstellen konnte und wessen Bilder als Krönung der Karriere schliesslich Aufnahme im Louvre fanden. Dies hiess für den Künstler, der nach dem Wegfall der traditionellen Auftraggeber auf Verkäufe angewiesen war, dass er praktisch keine Erwerbsmöglichkeit hatte, wenn er sich nicht dem offiziellen Geschmack anpasste, da die wenigen Sammler in der ersten Jahrhunderthälfte sich von der offiziellen Doktrin nicht absetzten. Nun ist allerdings bekannt, dass schon relativ früh im Jahrhundert die Befreiungstendenz der Künstler gegenüber den konservativen Dogmen der Akademie sich zu regen begann. Kulminiert hat diese Entwicklung mit dem Impressionismus, wobei wiederholte Anläufe gegen die starren akademischen Regeln vorausgegangen waren; es sei lediglich an Delacroix und die Romantik, Courbet und den Realismus sowie die Landschaftsmalerei der Schule von Barbizon erinnert. Es lässt sich beobachten, dass mit der Emanzipation der Künstler das Erstarken des Sammelns durch Käufer, die nun keineswegs mehr nur der obersten Gesellschafts-Schicht angehörten, ursächlich parallel verläuft. Mit der neugewonnen Individualisierung der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten wurde das individuelle Rezipieren einzelner Sammlerpersönlichkeiten gefördert, sodass etwas verallgemeinert gesagt werden darf, dass das Kunstsammeln in dem Sinne, den wir heute normalerweise mit diesem Begriffassoziieren, sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem ersten Höhepunkt entwickelt hat. Ich gehe hier nicht auf die Sammlungen älterer Kunst ein, in denen sich auch sehr viel Kunstgewerbe findet, wie in der Wallace Collection oder bei den Rothschild. In jenem Zeitraum entstanden die ersten grossen Kunstsammlungen der damals zeitgenössischen Malerei, wobei erstaunlicherweise festzustellen ist, dass aus eurozentrischer Sicht sich die bedeutendsten in zwei kulturellen Randregionen, nämlich Amerika und Russland entwickelten und auch neue Masstäbe setzten; es sei lediglich an die Namen Havemeyer, etwas später die Familie von Getrude Stein, Schtschukin und Morosow erinnert. Bevor wir uns der Entwicklung im 20. Jahrhundert zuwenden, ist allerdings auf eine Problematik hinzuweisen, die sich mit den zunehmend bedeutender werdenden privaten, bürgerlichen Sammelaktivitäten im 19. Jahrhundert ergeben hat: Für den Künstler hatte nämlich das private Sammeln durchaus zwei Seiten: eine positive, aber auch eine negative. Der Verkauf an Private garantierte den Künstlern den Lebensunterhalt, besonders bei jüngeren Künstlern waren die Chancen, dass ein Werk zuhanden eines Museums erworben wurde, äusserst minim. Der Künstler war auf die Sammler angewiesen. Auf der andern Seite entzog der Verkauf das Werk dem Blick und damit auch dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. Während in der ersten Jahrhunderthälfte die Maler deutlich zwischen offiziellen, meist grossformatigen Gemälden, d.h. denjenigen, die für den Salon bestimmt waren und kleineren, privaten Werken unterschieden, löste sich im Laufe der Zeit diese Differenzierung auf: Die Sammler wussten sich diejenigen Arbeiten zu sichern, die für den Schöpfer oft zu den wichtigsten zählten. Es entwickelte sich so etwas wie eine moralische Verpflichtung der Sammler, zeitweise auf die alleinige Nutzniessung des erworbenen Kunstwerkes zu Gunsten der Allgemeinheit zu verzichten - mit andern Worten: es entwickelte sich das Ausstellungswesen, das unabhängig von den Turnus-Ausstellungen, die die jeweils jüngste Produktion vorstellten, begann, einzelne Künstler in Retrospektiven darzustellen. Dies konnte nur mit Hilfe der privaten Sammlungen erfolgversprechend durchgeführt werden. Bekannt ist - um ein frühes Beispiel dieser Abhängigkeit zu erwähnen - die Geschichte, wie sich der junge Degas das Wohlwollen des sich damals im Zenit seines Ruhmes befindenden Ingres erworben hat: Für die geplante Präsentation des Werkes des Meisters von Montauban im Rahmen der Pariser Weltausstellung von 1855 wollte der Sammler Valpincon sein berühmtes Bain turc nicht ausleihen. Degas, der mit dem Sohn des zögernden Sammlers befreundet war, überredete diesen schliesslich zur temporären Herausgabe des Werkes. Vielleicht ist die Aussage etwas überspitzt: weil mehr und mehr Werke in die Abgeschiedenheit des privaten Kunsteigentums übergingen, wurde es mehr und mehr eine Notwendigkeit, die Wirkungsmöglichkeiten der lebenden Künstler durch Ausstellungen zu kompensieren. Was sich bereits anhand der Gründungsgeschichte der öffentlichen Kunstsammlung Basel aufzeigen liess - die unabdingbare Verknüpfung von privatem und öffentlichem Kunstbesitz in Bezug auf die Sammlungsbestände, kann somit auch auf die zweite Hauptaktivität des neuzeitlichen Museums - das Veranstalten von Wechselausstellungen - übertragen werden. Das enge Zusammengehen von Museum und privatem Sammeln kam nach den in der Rückschau als Präludium zu wertenden früheren Entwicklungen vor rund hundert Jahren voll zum Tragen. Es war nicht nur die Zeit des ersten Höhepunktes des privaten Sammelns, es war auch international gesehen eine Epoche zahlreicher Neugründungen von Museen, die die Museumslandschaft nachhaltig geprägt haben. In den USA vorallem setzte sich dieser Trend bis zum Vorabend des zweiten Weltkrieges fort: 1929 erfolgte die Gründung des Museum of Modern Art, diejenige der National Gallery gar erst 1937. Und wiederum standen phänomenale private Bestände Pate bei diesen Neugründungen: während in New York in erster Linie Lillie P. Bliss genannt werden muss, entstand die Nationalgalerie in Washington durch den Zusammenschluss der Altmeister-Sammlungen Kress, Mellon und Widener, denen sich wenig später die dem späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gewidmete Sammlung Chester Dale anschloss. Diese beiden führenden Häuser verdanken ihre Existenz zu beinahe 100% dem privaten Sammeleifer und ergänzen somit die herkömmlichen Typen der grossen Institutionen durch eine neue Spielart. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts konnte man in Bezug auf die grossen Häuser zwei unterschiedliche Herkunftsbedingungen unterscheiden: einerseits die Institute, die auf den zum Allgemeingut mutierten Fundus der jeweiligen Herrscherdynastien gründeten wie beispielsweise der Prado in Madrid, das Kunsthistorische Museum in Wien, die Eremitage in St. Petersburg, u.a.m. und andererseits die "Kunsthistoriker Museen", Institute, die durch die sich vor rund 100 Jahren rasant entwickelnde kunstgeschichtliche Forschung geprägt wurden, wie etwa die Gemäldegalerie in Berlin. In der Schweiz verdanken sämtliche wichtigeren Kunstmuseen ausschlaggebende Werkgruppen der Grosszügigkeit privater Sammler. Wobei hierzulande die Zusammenarbeit mit dem privaten Engagement bereits dadurch gegeben war, dass der Schweizerische Museumsboom in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch das Erstarken der lokalen Kunstvereine getragen wurde, in denen sich traditionellerweise Künstler und Sammler zusammen fanden. Wie viel armer wären unsere Museen ohne die Schenkungen, Legate, Vermächtnisse und Deposita von Sammlern wie

- in Basel Marguerite Arp Hagenbach Richard
Doetsch-Benziger Max Geldner Raoul La Roche
- in Bern Victor Loeb Hermann und Margrit Rupf
- in St. Gallen
- in Solothurn
Otto Fischbacher
Eduard Sturzenegger
Gertrud Dübi-Müller
Joseph Müller
- in Winterthur Clara und Emil Friedrich Jezler
Betty und David Koetser
Hans E. Mayenfisch
Alfred Rütschi
Leopold Ruzicka

Diese Aufzählung erhebt nicht den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit - sie will lediglich in Erinnerung rufen, in welch entscheidendem Masse die Schweizer Museen durch Privatsammlungen den Ruf erlangt haben, den sie heute international geniessen. Wobei nicht ausser Acht gelassen werden darf, dass Stiftungen, die von Sammlerkreisen initiert worden sind, die somit gleichermassen privates Mäzenatentum verkörpern, zusätzlich wesentliches beigetragen haben, wie beispielsweise die Emanuel Hoffmann-Stiftung in Basel, die Paul Klee Stiftung in Bern, die Alberto Giacometti-Stiftung in Zürich. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, mit diesen flash-light artigen Bemerkungen in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit deutlich zu machen, dass zwischen Sammler und Museum eine enge Symbiose besteht, wobei ich durchaus nicht der Ansicht bin, Nutzniesser sei allein das Museum. Im Gegenteil: es ist nicht eine Einbahnstrasse, die vom Privaten zum Öffentlichen führt: ohne die Aufklärungsarbeit der Museen würde das private Sammeln niemals zu vergleichbarer Blüte kommen. Und manchmal muss das Museum privaten Sammelwünschen mit der nötigen Entschiedenheit entgegentreten, sei dies beispielsweise bei Angeboten von Schenkungen, die den erforderlichen Qualitätsstandard nicht erreichen, sei es bei wohlgemeinten Erwerbsvorschlägen aus Sammlerkreisen, die aller Voraussicht nach die Tagesaktualität nicht lange überleben dürften. Nun gibt es natürlich die Sammlungen, die sich der Umarmung durch das Museum verweigern, die sich nicht in ein grösseres Ganzes einbinden lassen wollen, die Selbständigkeit, was in aller Regel ein eigenes Haus bedeutet, vorziehen. Bitte erwarten Sie nicht von mir, dass ich auf die Frage, ob denn dieses Selbständig bleiben gut oder schlecht sei, eine eindeutige Antwort gebe. Zu viele Überlegungen und Gegebenheiten sind vor einer diesbezüglichen Entscheidung zu berücksichtigen. Hier eine Auswahl möglicher Fragestellungen: Weist eine Sammlung eine genügende Anzahl qualitativ hochstehender Werke auf, die Selbständigkeit rechtfertigen? Es gibt doch wohl so etwas wie eine diesbezügliche "kritische Grösse". Ist eine innere Kohärenz erkennbar, die es rechtfertigt, eine Sammlung als Ganzes zu überliefern?


Hat eine Sammlung Aussagekraft als Zeitzeugnis?

Ist sie so untergebracht, dass ihre Entstehungsgeschichte transparent wird, d.h. im Ambiente des Sammlers selbst? Aber: liegt dieses Haus in einer verkehrstechnisch akzeptablen Situation? Befasst sie sich mit Werken, die aller Voraussicht nach auch in der Zukunft interessieren? (Diese Frage stellt sich insbesondere bei Häusern, die einen einzigen Künstler zur Darstellung bringen.) Wie stark- oder schwach - ist das betreffende Sammlungsgebiet in unmittelbarer Nähe bereits vorhanden, sei es in öffentlich getragenen Museen oder in andern dem Publikum zugänglichen Privatsammlungen? Könnte das öffentliche Institut günstigere Bedingungen anbieten oder nicht? Wäre Platz vorhanden? Würden sich die neuen Bestände in die bereits vorhandenen integrieren oder würden sie als Fremdkörper empfunden?
o Ist das Einzugsgebiet gross genug, eine weitere Institution zu verkraften?

Fragen über Fragen - wobei noch nicht einmal die damit involvierten ökonomischen Konsequenzen angesprochen sind - die ja freilich hierzulande meist Ausgangspunkt der Überlegungen sind........... Wie schwierig es ist, den soeben erwähnte Fragenkatalog, der keineswegs vollständig ist, in die jeweiligen realen Gegebenheiten umzusetzen, möchte ich anhand einer willkürlich herausgegriffenen Reihe von Beispielen illustrieren. Ich glaube, fast jedes Bild der Frick-Collection würde im unmittelbar benachbarten Metropolitan Museum einen Ehrenplatz einnehmen. Wie viel ärmer wäre jedoch New York ohne dieses Juwel Frick-Collection, das - abgesehen von der stupenden Konzentration von Meisterwerken ersten Ranges - natürlich ein besonders intensives Zeitdokument darstellt, da kaum anderswo in vergleichbarer Intensität die Lebenshaltung des sammelnden Grossindustriellen im Amerika der Jahrhundertwende erlebt werden kann. Ähnliches gilt für die Philipps Collection in Washington. Auch hier würde ich sagen, dass es ausgesprochen schade wäre, wenn diese Sammlung einfach in der National Galerie aufgegangen wäre.

Anders würde ich hingegen die Situation in Madrid interpretieren. Die doch sehr bedeutende Sammlung Thyssen kann sich vis-a-vis des Prado, zumindest was die Altmeister betrifft, nicht richtig entwickeln. Das Gegenteil trifft natürlich auf die neueren Bestände zu, die in Spanien nirgends so dicht zur Darstellung kommen wie bei Thyssen. Manchmal spielt auch eine abgelegene Lage keine Rolle. Wie viel ärmer wäre Kopenhagen ohne die "Ortrupgaard"-Sammlung in einem idyllischen Park am Stadtrand Kopenhagens gelegen und nicht ganz leicht zu finden. Ganz abgesehen von der zahlenmässig recht bescheidenen Impressionisten-Sammlung, die sich als Ganzes als beglückendes Ensemble erweist, kommen einzelne Dänische Künstler wie etwa der enigmatische und leise Maler Vilhelm Hammershoi in diesem alten Herrschaftshaus zur Geltung wie es an neutralen Museumswänden wohl kaum möglich wäre. Und natürlich gibt es auch Beispiele, die aufzeigen, dass die privaten Institutionen die öffentliche Sammlung bei weitem übertreffen. Los Angeles mit seinen Vororten dürfte hier ein schlagendes Beispiel sein. Neben dem Getty Museum, dem Norton Simon Museum und der im irdischen Paradies gelegenen Huntington Library - die Bezeichnung ist ein perfektes Understatement für eine Bibliothek, eine bedeutende Gemäldesammlung und einen immensen botanischen Garten nimmt sich das Los Angeles County Museum vergleichsweise doch recht kümmerlich aus. Es gibt auch Beispiele dafür, dass das Ambiente eines Privatmuseums grössere Attraktivität besitzt als die darin untergebrachte Sammlung und dennoch Daseinsberechtigung hat, denken Sie nur an das Sir John Soane's Museum in London. Und noch ein Wort zu den Museen eines einzelnen Künstlers. Natürlich denkt man hier immer in erster Linie an das Musee Moreau in Paris, das mit seinem verstaubten Charme eine grosse Attraktivität ausübt. Aber wer von Ihnen kennt beispielsweise das Otto Dix-Haus in Gera, das Ernst Barlach Haus in Hamburg, das Käthe Kollwitz Museum in Köln, das Gabriele Münter Haus in Murnau, das Edwin Scharff Haus in Neu-Ulm oder das Olaf Gulbransson Museum in Tegernsee oder gar das Musee Antoine Wiertz in Brüssel? Im Dictionnaire des Peintres von Benezit war in der Ausgabe von 1919 über Antonie-Josef Wiertz immerhin ZU lesen: "Cet extraordinaire artiste tient une place tout a fait exceptionnelle dans la peinture belge de la premiere moitie du XIXe siecle. S'il avait eu la puissance de donner a ses conceptions une forme adequate, il aurait droit a une place parmi les plus celebres maitres. Il reva le sublime, et, dans nombre de cas, il ne s'eleva pas au-dessus du Melodrame banal. Il n'en merite pas moins d'etre etudie et respecte comme une noble conscience." Sie sehen, ich habe bewusst keine schweizerischen Beispiele genannt. Was die Situation hierzulande betriffl, möchte ich ganz generell sagen, dass ich den Schweizerischen Föderalismus auch in kulturpolitischer Hinsicht verteidige. Ich finde die Vielzahl von lokalen Institutionen anregend. Eine Konzentration auf die grösseren Zentren würde eine kulturelle Verarmung weiter Landesteile mit sich bringen. Gerade in den letzten Jahrzehnten hat es sich gezeigt, dass die aktuelle Kunstproduktion in Ländern mit dezentralisierten föderalistischen Strukturen sich besser entwickeln konnte, als in Ländern, in denen eine übermächtige Kapitale den Rest des Landes zur Provinz werden lässt. Ich glaube, ich brauche hier keine Namen zu nennen. Ich wünsche mir also für die Weiterentwicklung der Symbiose von Sammler und Museum einen gegenseitigen intensiven Dialog, gegenseitiges Verständnis für die Bedürfnisse des Partners, eine Grundhaltung, die von Überlegungen ausgeht, wie Synergien und grössere kulturelle Ausstrahlung ermöglicht werden und nicht eine Grundhaltung, die von Eifersucht oder gar Futterneid geprägt wird. Und auch einen Dialog, der von den kulturellen Inhalten und Möglichkeiten ausgeht und nicht von den ökonomischen Sachzwängen. Selbstverständlich müssen wirtschaftlich und politisch tragbare Lösungen gefunden werden, wobei nicht nur die direkten Kosten und Einnahmen zu berücksichtigen sind, sondern ebenso den durch Kulturinstitute ausgelösten Geldkreislauf, der sich auf den Standort auswirkt. Natürlich verweise ich mit dieser Bemerkung auf die Untersuchungen der einst aufsehenerregenden, seither etwas angejahrten Studie der Julius Bär-Stiftung Zürich über "Die wirtschaftliche Bedeutung der Zürcher Kulturinstitute" (1984). Neuere Forschungen kommen indessen zu vergleichbaren Ergebnissen: Die Diplomarbeit von Marc Elsener, die am Geographischen Institut der Universität Zürich, Abteilung Wirtschaftsgeographie 1998 abgeschlossen wurde unter dem Titel "Ausgebeutete Kernstadt? Spillovers im subventionierten Kulturangebot der Stadt Zürich am Beispiel des Schauspielhauses und des Kunsthauses" ist ein sehr taugliches Hilfsmittel bei der Beurteilung der Fragen nach dem Rendement von privaten Institutionen und solchen, die von der Öffentlichkeit getragen werden. Man prüfe somit sorgfältig und vernetzt die ideellen und pekuniären Dividenden der Kunstinstitute, der privaten wie der öffentlich-rechtlichen!