Sektion des Monats

 

Nachrichten von Peter Studer, Präsident des Schweizer Kunstvereins – 8. Dezember 2011

1. Kunst- und Kulturpolitik

1.1. Die erstmalige Kulturbotschaft 2012 – 2015:

Das Parlament hat Ende September die Kulturbotschaft 2012 – 2015 verabschiedet – und wie hier schon kommentiert – direkt die Pro Helvetia (indirekt die visuelle Kunst) abgestraft.

Zwar hat das Parlament insgesamt  CHF 669 Mio. gesprochen, "5 Prozent über der Finanzplanung des Bundes", wie der Direktor des Bundesamts für Kultur, Jean-Frédéric Jauslin, zufrieden feststellte. Einige mehr als verdiente Nachtragskredite, etwa zugunsten des notleidenden Denkmalsschutzes, sind bewilligt worden. Kantonal orientierte Parlamentarier haben ohne langes hin und her eingesehen, dass sie den Schwarzpeter halten, wenn Kunstdenkmäler von nationaler Bedeutung wegen verweigerter Bundesbeiträge zerfallen. Andere ebenso begründete Nachträge blieben erfolglos, so Aufstockungen bei Pro Helvetia, der das Kulturförderungsgesetz zahlreiche neue Aufgaben zugewiesen hatte – aber ohne die entsprechenden Mittel. So muss Pro Helvetia die beträchtliche Nachwuchsförderung des Bundes in allen Kultursparten schultern (die Swiss Art Awards – Kunstpreise – der Eidgenössischen Kunstkommission, bleiben beim Bundesamt für Kultur, müssen aber ähnliche Preissysteme in andern Sparten mitfinanzieren). Ebenso übernahm Pro Helvetia die ganze Projektförderung (ein Teil der einzelnen Förderprojekte im Bereich der visuellen Kunst war früher aus Kassen des Bundesamts für Kultur bezahlt worden).

So sinnvoll die klarere Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt für Kultur und Pro Helvetia hier oder dort anmutet, so bedauerlich sind die drohenden Substanzverluste im Bereich der visuellen Kunst:

- Der verhältnismässig junge Bereich Fotografie, der sich europaweit grosses Ansehen erworben hat, wird aufgeteilt. Fotogeschichte und Konservierung bleibt als "strukturelle Aufgabe" beim Bundesamt für Kultur; die Förderung zeitgenössischer Fotokunst wandert zur Pro Helvetia: Aber ohne feste Mittel, während der Projektfonds Foto im Bundesamt bis 2012 jährlich auf Gesuch noch insgesamt CHF 700’000 ausgeben konnte. Das fällt jetzt zwischen die Gitterstäbe.

- Die unterste Stufe auf der Förderpyramide, die "Kunsträume", hatten bisher über das Bundesamt für Kultur auf Gesuch einige zehntausend Franken erhalten. Für viele junge Künstler die erste Gelegenheit, vor ein anspruchsvolles regionales Publikum zu treten! Damit ist jetzt Schluss. Die Kuratoren können bei Pro Helvetia besondere Projekte mit Unterstützungsgesuchen eingeben. Aber es fehlt das Geld.

- Sie alle reagieren mit einer gewissen Bitterkeit auf die Bemerkung von "Kulturminister" Didier Burkhalter, der zum vorneherein erklärt hatte, es gebe nicht mehr Geld für Kultur – anders als fast in jeder Session beim Militär oder bei der Landwirtschaft – und Pro Helvetia zweimal ermahnte, jetzt müsse sie halt mal "Prioritäten setzen".

 

1.2. Umsetzung der Kulturpolitik: Fortan geht es um die Details

Eher kritisch hat sich Suisseculture, der Dachverband der Künstlerverbände, Ende November an die Pro Helvetia gewandt und einige Forderungen formuliert:

Wenn Pro Helvetia jetzt wohl oder übel Prioritäten setzen müsse, solle sie dies bei der Werkförderung und Nachwuchsförderung tun. Nicht dazu gehöre die Aufblähung sogenannt "transversaler Themen", die Bundesamt für Kultur und Pro Helvetia – für einmal Arm in Arm – über die Kulturbotschaft gestülpt hätten. Es geht um den Ausbau von Volkskultur und Gamekultur. Suisseculture  erinnert daran, dass die Kulturbotschaft in ihrer Endfassung versprach, es gehe höchstens um einige wenige Projekte "Dritter" (auch der Schweizer Kunstverein warnte, die Kulturbehörden des Bundes dürften sich keine Intendantenrolle anmassen.) [Pro Helvetia beschwichtigte einige Tage später, jedes dieser Projekte werde nicht vorgegeben, sondern von Kulturschaffenden entwickelt].

- Zur Nachwuchsförderung betont Suisseculture, die Bedürfnisse der einzelnen Sparten seien unterschiedlich. [Schon Gerhard Mack hatte in der NZZ am Sonntag gewarnt, es wäre verheerend, jetzt die internationalen Erfolge der visuellen Kunst (Bice Curiger und Harald Szeemann, den Giacometti-Clan und den Packpapier-Protestierer Thomas Hirschhorn) auf die Stufe von Anfängersparten hinunterdrücken zu wollen. Eine Literaturlesung sei eben günstiger zu haben als eine Ausstellung].

- Bei der Werkförderung befürchtet Suisseculture, Pro Helvetia wolle über "aufgerüstete" Bereichsleiter aufgrund immer neuer Regelungen an eingereichten Projekten korrigierend mitwirken. [Pro Helvetia weist das zurück; sie betont, "in der Regel" die auch im Gesetz vorgesehenen Empfehlungen der Experten befolgen zu wollen. Als "Treuhänderin öffentlicher Gelder" müsse sie aber "transparent und nachvollziehbar" entscheiden. Das Gesetz lasse zu, dass Pro Helvetia mit Begründung von den Expertenempfehlungen abweiche].

 

1.3. Neue Reglemente und Richtlinien

Allenthalben spriessen neue Regeln, Reglemente und Richtlinien. – Ein Vorstandsausschuss des Schweizer Kunstvereins hat sich jeweils zu den Entwürfen geäussert.

- Das Bundesamt für Kultur hat eine Kulturförderungsverordnung unterhalb der Gesetzesstufe entworfen, in der unter anderem steht, dass als förderungsberechtigter Nachwuchs "Personen unter 35 Jahren gelten", die "ihre Berufsausbildung vor höchstens 5 Jahren abgeschlossen haben" oder deren erste öffentliche Präsentation nicht länger als 5 Jahre zurückliegt (die alte Altersgrenze für Swiss Art Awards von 40 Jahren entfällt). Pro Helvetia entscheide über "Projekte, die in Bezug auf Kunstvermittlung, Schaffen oder Kulturaustausch wesentliche neue oder zukunftsweisende Elemente enthalten".

- Werkbeiträge bezögen sich auf Schaffung, Projektbeiträge auf Verbreitung von Werken der Kunst.

- "Förderungskonzepte" (Entwürfe) gelten dem kulturellen Erbe, den Laienorganisationen (unter ihnen der Schweizer Kunstverein?), der Leseförderung, den Anlässen und Projekten.

[A propos Leseförderung: Der Schweizer Kunstverein hat mehrmals betont, dass nicht nur Leseförderung auf Stufe ABC-Schützen, sondern auch angesichts der schrumpfenden Kulturberichterstattung innovative Stiftungsmodelle nach ausländischem Vorbild zu prüfen seien. Das Bundesamt für Kultur hat mündlich Prüfung zugesichert].

Auch Pro Helvetia hat zuhanden ihres laut Gesetz neu formierten Stiftungsrats Vorstellungen über Gremien und Kompetenzen vorgestellt. Der frühere, grosse und nach Sparten gegliederte Stiftungsrat – er entschied über die meisten Gesuche -  wird ersetzt durch einen kleineren strategischen Stiftungsrat, eine Fachkommission mit 13 Mitgliedern (beides laut Kulturförderungsgesetz) und durch eine überraschend von der Geschäftsleitung Pro Helvetia eingezogene weitere Ebene "Unabhängiger Experten" mit Spezialwissen. Näheres dazu später.

Schliesslich hat die Eidgenössische Kunstkommission, eine im Bundesamt für Kultur angesiedelte Jury von Künstlern, Kunstkritikern und Professoren, ihren "Vorentwurf " für ein neues Reglement über die Durchführung der Swiss Awards publiziert (Schweizer Kunstpreise Kunst, Architektur und Vermittlung). Nach Aufhebung der Alterslimite für die Swiss Art Awards musste sie die Teilnahmeregeln überarbeiten. Weiterhin verläuft der Wettbewerb in zwei Runden; die Werke der zweiten werden jedes Jahr am Rand der Messe ArtBasel ausgestellt. Anmeldeschluss für die erste Runde: 10. Januar 2012. www.bak.admin.ch/online

2. Aus den Sektionen

Kunstverein Oberaargau – Kunsthaus Langenthal mit neuem Leiter
Auf Anfang 2012 wurde Raffael Dörig zum neuen Leiter des Kunsthauses Langenthal gewählt.  Dörig war bisher Kurator beim Medienkunstraum [plug.in], Basel und amtete als Mitgründer und Kurator sowie Vorstandsmitglied des Shift - Festival der elektronischen Künste, Basel.


Kunstverein Olten – neue Leiterin im Kunstmuseum Olten

Nach zehnjähriger Tätigkeit als Museumsleiterin ist Patricia Nussbaum Ende Oktober 2011 in Pension gegangen. Ab 1. März 2012 wird Dorothee Messmer neue Leiterin des Kunstmuseums Olten. (bisher: stellvertretende Direktorin und Kuratorin des Kunstmuseums Thurgau in der Kartause Ittingen).


Aargauischer Kunstverein -
"Schenken Sie eine «Freundschaft mit der Kunst»"
Unsere Aargauer Sektion mit einer guten Geschenkidee: Schenken Sie eine Mitgliedschaft im Aargauischen Kunstverein, einem der grössten Kunstvereine der Schweiz; auch für Junioren von 0-20 Jahre. Weitere Informationen zum Aargauischen Kunstverein sowie das Anmeldeformular finden Sie hier: http://www.aargauerkunsthaus.ch/de/mitglieder-partner/kunstverein/ 


Kunstverein St. Gallen

Neue Geschäftsleiterin des Kunstvereins St. Gallen ist Nadia Veronese. Sie folgt auf Elvira Huber.

3. Hinweise / Termine

Raiffeisen ist Partner des Schweizer Kunstvereins
Im Herbst 2011 haben der Schweizer Kunstverein und Raiffeisen Schweiz Genossenschaft einen mehrjährigen Kooperationsvertrag unterschrieben. Der Schweizer Kunstverein sucht  vor allem für die Weiterbearbeitung  der Eidgenössischen Kulturbotschaft und  angesichts  elektronischer Entwicklungspläne des von ihm herausgegebenen Kunstbulletins einen etwas  erweiterten finanziellen Spielraum.  Ein zentraler Punkt bei der Zusage war die "Kunstaffinität" seines Partners. Das Raiffeisen Kunstengagement fördert zeitgenössische Schweizer Kunst, Kunst im öffentlichen Raum, Kunst am Bau sowie wiederkehrende Projekte und Plattformen. Am 6. März 2012 findet zum vierten Mal die Raiffeisen Benefiz-Kunst-Auktion statt; in der Fachjury ist neben Giovanni Carmine, Kunsthalle St. Gallen, auch Claudia Jolles, Chefredaktorin des Kunstbulletins, vertreten. http://www.raiffeisen.ch/web/benefiz-kunst-auktion


NICHT VERPASSEN! Noch bis 29. Januar zeigt das Kunstmuseum St. Gallen eine international herausragende Schweizer Sammlung konzeptueller Fotografie.
Der Titel "Through the Looking Brain" deutet auf "sehendes Denken" oder "denkendes Sehen" hin. Der Gedanke ist nicht ganz neu: Schon Marcel Duchamp hatte betont, Kunst komme von Denken, nicht von Können. Hier aber: ausschliesslich angewandt auf Fotografie. Die weltweit einmalige Sammlung entstand seit 1990 auf Initiative von Ruedi und Thomas Bechtler; inhaltlich aufgebaut haben sie Cristina und Ruedi Bechtler sowie Bice Curiger. Das Spektrum reicht von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart. Kuratiert hat die Ausstellung Konrad Bitterli. – Erhältlich ist ein ausnehmend schöner Katalog, englisch/deutsch, mit fünf anspruchsvollen Aufsätzen und den wichtigsten Fotos. http://www.kunstmuseumsg.ch/ausstellungen.html


Dritter Preis für Vermittlung visueller Kunst in der Schweiz geht an Meris Schüpbach mit dem Projekt kidswest.ch

Der Schweizer Kunstverein und visarte.schweiz haben im Frühjahr 2011 zum dritten Mal den mit CHF 10'000 dotierten Preis für Vermittlung visueller Kunst in der Schweiz ausgeschrieben. Aus 29 Bewerbungen wählte die Jury Meris Schüpbach mit dem Projekt kidswest.ch. Die Preisverleihung findet am 16. Januar 2012  in der Kunsthalle Bern statt. Mehr Infos und Fotos finden Sie hier: http://www.kunstverein.ch/aktuell/


Burri-Preis grafic design in unseren Büroräumen

Wir begrüssen in den neuen Büroräumen von Kunstverein und Kunstbulletin unsere  Untermieterinnen Susanne Burri und Stefanie Preis von Burri-Preis graphic design. Sie haben kürzlich die Publikation zum Projekt Tandem des Schweizer Kunstvereins und der Hochschule Luzern gestaltet. Mehr zu Burri-Preis graphic design finden Sie hier: http://burri-preis.ch/


Résumé de la le
ttre d'art du président (Kunstbrief) en français
Le résumé de la lettre du président (Kunstbrief) en français sera disponible un peu plus tard que la version originale. Elle sera effectuée par l’un de nos membres de Suisse romande et mise aimablement à notre disposition pour le site Internet de la Société Suisse des Beaux-Arts.

Mit freundlichen Grüssen

Ihr Peter Studer,
Präsident des Schweizer Kunstvereins
praesident(at)kunstverein.ch
 

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