Seit je her gelten sie als unkontrollierter und unkontrollierbarer körperlicher Ausdruck innerlicher Verfasstheit, als unmissverständliches Anzeichen von Gefühlen, die auch das Gegenüber in einen Zustand der Bewegtheit versetzen können. Gleichzeitig stehen Tränen immer schon im Verdacht, eine besonders ausgeklügelte Täuschung zu sein.1 Einblick in die Arbeit an einer solchen Täuschung erhält man in den auf der Seite des Schweizerischen Kunstvereins erstmals gezeigten, audiovisuellen Sequenzen, die während der Produktion der Videoarbeit Kaffeefahrt (2011) entstanden sind. Darin waren diejenigen Szenen zu sehen, in denen das Weinen – in Anlehnung an Urs Lüthis berühmte Fotografie Lüthi weint auch für sie (1970) - als Pose zur Schau gestellt wird.
Im hier einsehbaren Material geht es um die ganzen Vorbereitungen ebendieser Sequenzen. Erst im Nachhinein, durch eine leichte Verschiebung der Aufmerksamkeit, fiel uns auf, dass sich genau in diesen eigentlich nicht zum Zeigen bestimmten Aufzeichnungen eine eigensinnige Stimmung der Vertrautheit und Intimität vermittelt, die das Gegenüber bewegen kann.
Kaffeefahrt, ein kollaboratives Kunstprojekt unter der Leitung von Simon Kindle, fand im Herbst 2011 im Rahmen von TANDEM zum Topos der sogenannten Innerschweizer Innerlichkeit statt. Die dubiose Verkaufsstrategie der Kaffeefahrt diente dabei als dramaturgischer Kniff. In einem Car, der die Besucherinnen und Besuchern während eines Nachmittags zu den unterschiedlichen Tandem-Ausstellungen in der Zentralschweiz fuhr, trat auf den careigenen Monitoren die fiktive Figur Dr. Harald Innerbicher auf und pries den Begriff der Innerschweizer Innerlichkeit als Hauptgewinn an. Im Zentrum seiner Ausführungen stand dabei eine humorvolle Vermittlung des Innerschweizer Kunstgeschehens der 70er Jahre. Jeweils am Ende einer Carfahrt wurden die Tränensequenzen eingeblendet. Dabei erschien eine der am Projekt beteiligten Personen im Format eines schwarz-weissen Schulterportraits auf dem Monitor und «weinte» für die Zuschauerinnen und Zuschauer. So traten die Tränen als «raffinierte Inszenierung»2, als zur Schau gestellte Täuschung in Erscheinung, wodurch eine authentische Darstellung von Innerlichkeit und Intimität hinterfragt wurde.
1 Vgl. Beate Söntgen und Geraldine Spiekermann, «Tränen. Ausdruck - Darstellung - Kommunikation. Eine Einführung», in: Tränen, München: Wilhelm Fink Verlag, 2008, S.9.
2 Harald Innerbicher, «Das Unsichtbare sichtbar machen», in: Zwischen Mimikry und Eigensinn: Wege zu einer Neuen Innerschweizer Innerlichkeit, Stans: edition Schaukel, 2011, S. 34.
(Andrea Portmann)
Simon Kindle: Konzept/ Regie/ Projektleitung
Andrea Portmann: Text / Dramaturgie
Kevin Graber: Co-Regie / Kamera / Schnitt / Postproduktion
Reto Stalder: Schauspiel
Anna-Katharina Diener: Stimme
Immanuel Wagner: Postproduktion
Stephan Gallego: Licht / Postproduktion
Martin Waespe: Musik
Trailer der Kaffeefahrt: http://www.youtube.com/watch?v=uSukQPGflBI
Impressionen Kaffeefahrt (Bildmaterial: Kevin Graber, Esther Maria Jungo und Simon Kindle): Impressionen_kaffeefahrt.pdf
1983 geboren in Vaduz, lebt und arbeitet in Luzern/ Balzers.
2001 – 2005 Primarlehrausbildung am Lehrerseminar St. Michael Zug
2005 – 2006 Gestalterischer Vorkurs an der Kunstschule Liechtenstein
2006 – 2009 Studium Bachelor of Arts in Fine Arts an der Hochschule Luzern Design & Kunst
2009 – 2010 Gaststudium im Studienbereich Szenografie an der Zürcher Hochschule der Künste
seit 2010 Studium Master of Arts in Fine Arts an der Hochschule Luzern Design & Kunst
Herbstsemester 2011/2012 Austauschstudium im Studiengang Raumstrategien an der Weißensee Kunsthochschule Berlin
Ausstellungen & Performances
2007 | | zimmer 152 anderzeits; Erfrischungsraum Luzern |
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2007/2008 | | handle with care Schichtwechselprojekt im Kunstmuseum Liechtenstein |
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2008 | | + [pozitif, -iv] ACT 08 Performance Festival; Théâtre du Grütli Genf / Dampfzentrale Bern Gruppenausstellung; Valiart Kulturraum Bern |
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2009 | | Best of Act – Museumsnacht Basel 09; Museum für Gegenwartskunst kunstgriff Werkschau BA Hochschule Luzern D&K; Südpol Luzern Nomination für den Kunstpreis der Nationale Suisse 2010; Kunsthaus Baselland |
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2010 | | Di/gi/tal/Ma/te/ri/al/Lu/zern; Freiraum Quartier 21 International Museumsquartier Wien vaduz, my pleasure - es ist uns ein vergnügen (+ [pozitif, -iv]) Im Bauch des Wals; Kunstraum Engländerbau Vaduz k.kampfvogel Fassade Theater der Künste Zürich |
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2011 | | k&k qualität - kunst der (kunst-)rezeption Im Bauch des Wals; Château Mercier Siders ei Ofenhalle, Keramik Schaedler Nendeln k&k diskutieren z(orten)11 Crème Fraiche; Zorten kaffeefahrt Tandem; (zwischen) Museum Bruder Klaus Sachseln/ Haus für Kunst Uri, Altdorf/ Sankturbanhof Sursee/ Nidwaldner Museum, Höfli, Stans/ Erfrischungsraum Luzern |
Portfolio (ungekürzte Version bitte per Mail anfordern): portfolio_kurz_sk.pdf
© Simon Kindle