Sektion des Monats

«Vom Können zum Müssen zum Dürfen»

Zusammenfassung des Podiumsgesprächs anlässlich der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Kunstvereins vom 1. Juni 2002 in Altdorf

«Forderungen, Wünsche, Anregungen an eine zukünftige Schweizerische Kulturpolitik» Unter diesem Titel stand das Podiumsgespräch, das von Erwin Koller, Redaktor Sternstunden SF DRS geleitet wurde. Podiumsteilnehmer waren Christoph Reichenau, Stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Kultur, Pius Knüsel, Direktor der Pro Helvetia, Rainer Peikert, Präsident SKV, Walter Tschopp, Vorstandsmitglied des Verbands der Museen der Schweiz/Direktor des Musée d'Art et d'Histoire Neuchâtel, Jean-Pierre Gerber, Co-Präsident von visarte, Biel, Tiziana Mona, Leiterin TV-Angelegenheiten bei der Generaldirektion der SRG SSR idée suisse, Hansruedi Stadler, Ständerat des Kantons Uri, Anwalt.

Am Anfang der Veranstaltung stand eine Grussbotschaft von Bundesrat Moritz Leuenberger, in der er bekräftigte, dass Kultur zur wichtigsten "Infrastruktur" eines Landes, einer Gesellschaft gehöre, dass Kulturpolitik für ein Land so wichtig ist wie Verkehrspolitik. Die Wahl von Altdorf als Tagungsort erhielt dadurch eine doppelte Bedeutung.

In seinem Eingangsreferat äusserte sich Christoph Reichenau über Zielsetzungen und Stand der Arbeiten für das auf Basis des Artikels 69 der Bundesverfassung (Kulturartikel) neu zu schaffende eidgenössische Kulturgesetz. Zur Zeit ist eine Steuergruppe, in der Persönlichkeiten aus verschiedenen Kulturbereichen vertreten sind und die unter der Leitung des Direktors des BAK, Herrn David Streiff, steht, mit der Erarbeitung eines ersten Gesetzesentwurfs befasst. Dieser soll im Herbst dieses Jahres auf verschiedenen Ebenen zur Diskussion gestellt werden. Ziel ist, das Gesetz in der ersten Jahreshälfte 2003 in die Vernehmlassung zu geben, sodass die parlamentarische Behandlung im Winterhalbjahr 2003/04 erfolgen könnte.

Dem neuen Gesetz soll ein breites Kulturverständnis zu Grunde gelegt werden, das auf drei Kernsätzen basiert:

1. Kultur prägt unser Leben. Kultur manifestiert sich in der Art und Weise, wie wir mit den Mitmenschen umgehen und wie wir gestaltend auf die Natur/die Umwelt einwirken.

2. In den Kulturbegriff wird neben der Schaffung und Erhaltung von Kunst, auch Bildung, Wissenschaft, Forschung, Verständigung einbezogen.

3. Kunst ist treibende und reflektierende Kraft der Kultur.

Die Bundesverfassung enthält aus Sicht dieses Verständnisses mehrere kulturpolitisch relevante Artikel. Das neue Kulturgesetz kann und wird die Bildungspolitik nicht einbeziehen und muss sich abgrenzen von weiteren kulturpolitischen Themen, die in anderen Gesetzen geregelt sind.

Die Aufgabe des Staates ist es primär, gute Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Schaffung, Vermittlung und Erhaltung von Kunst und Kultur zu gestalten.

Die Aufgabenteilung von Bund, Kantonen und Gemeinden ist nicht eindeutig geregelt und soll Gegenstand eines laufenden Dialoges sein und bleiben. Als wichtigste Aufgaben des Bundes sieht die Steuerungsgruppe:

1. Die Wahrung und Festigung der kulturellen Vielfalt
2. Rahmenbedingungen des kulturellen Schaffens positiver gestalten und fördern
3. Die Arbeit von Kulturschaffenden fördern
4. Verleihung von schweizerischen Preisen
5. Pflege des kulturellen Erbes
6. Nationale Kompetenzzentren mittragen
7. Kulturelle Anlässe von nationaler Bedeutung finanzieren
8. Förderung des Kulturaustausches mit dem Ausland
9. Stärkung auswärtiger Kulturpolitik


In einer ersten Runde von spontanen Äusserungen zum Referat Reichenau zeigte es sich, dass das breite Kulturverständnis, der Wille, auch die Kultur-/ Kunstvermittlung in die Kulturförderung einzubeziehen, und das Bekenntnis, die Vielfalt der in der Schweiz vertretenen – auch nichtschweizerischen – Kulturen zu unterstützen, sehr positiv gewertet werden. Zustimmung und Unterstützung fand insbesondere auch die Erklärung, dass der Bund – auch formal – ein zentraler Akteur im schweizerischen Kulturleben werden will und dass die Aufgabenteilung mit Kantonen und Gemeinden sehr offen gestaltet werden soll.

Kritik angebracht wurde an der langen Dauer des Verfahrens und daran, dass die Gewichtung der einzelnen Aufgaben noch sehr offen ist. Der Einwand, bei der bisherigen Diskussion sei immer vom Müssen des Bundes die Rede, während er eigentlich stolz sein könnte, dass er Kultur fördern darf, entwickelte sich in der Folge zu einem Leitthema des weiteren Gesprächs.

Der Politiker unter den Podiumsteilnehmern wies darauf hin, dass Kulturdiskussionen in Kulturkreisen zwar anregend und notwendig sind, dass es aber noch viel wichtiger ist, die Politik und die Öffentlichkeit offensiv in diesen Dialog einzubeziehen. Der Mensch muss im Zentrum der Kulturpolitik stehen, so wie in Uri der Mensch auch im Zentrum einer Verkehrspolitik steht, die ihrerseits die kulturelle Entwicklung eines ganzen Landes beeinflusst. Die Kulturpolitik muss den Spagat schaffen vom Volkstheater im Schächental bis zum Avantgardeprojekt FurkArt. Und Kultur muss in die Bildung einfliessen, Bildung ist wichtiger Teil der Kultur. Ergänzt wurde dieses Votum durch die Forderung, in Zukunft auch die Wirtschaft, die Unternehmer in diese Diskussion einzubinden, uneinig war man sich über den Zeitpunkt, wann dies geschehen soll.

Mehrere Voten wiesen darauf hin, dass ein extrem verstandener Föderalismus sich als Bedrohung für ein effizientes eidgenössisches Kulturgesetz herausstellen könnte. Zwar haben sich die Vertreter der Kantone und Städte bis heute sehr positiv und kooperativ gezeigt, es ist aber nicht auszuschliessen, dass in der politischen Diskussion andere Kräfte die Oberhand gewinnen. Die Entwicklungen beim Sprach- und Filmgesetz müssen als ernst zu nehmende Warnung verstanden werden. Das "Kann" des Artikels 69 BV soll in einem ersten Schritt imperativen Charakter erhalten, in den Köpfen der politischen Entscheidungsträger zum "Muss" werden, bevor es gelingen kann, daraus ein "Darf" oder ein "Will" entstehen zu lassen.

Einig mit der Steuerungsgruppe waren die Podiumsteilnehmer in der Zielsetzung, dass eine gesamtschweizerische Kulturpolitik sich nicht gegen die föderalistische Struktur des Kulturlebens richten darf, sondern diese im Gegenteil unterstützen und dort ergänzen soll, wo die Kantone und Gemeinden nicht aktiv werden können oder wollen. Besonders erwähnt wurde die Präsenz der Schweizer Kultur über die Landesgrenzen hinaus.

Probleme wurden geortet beim Auseinanderklaffen der Interessen und Zielsetzungen von Kunstschaffenden und Kunstvermittlern. Während vonseiten der Kunstschaffenden Urheber- und Folgerechtsfragen sowie soziale Sicherheit noch einer Lösung harren, steht für die Kunstvermittler der Einbezug der Kunstschaffenden wie auch der Kunstinteressierten und der Öffentlichkeit in kulturpolitischen Entscheidungsprozessen im Vordergrund. Die starke Segmentierung im Kulturbereich und der Unabhängigkeitsdrang der Kulturschaffenden bildet eine zusätzliches Erschwernis in der politischen Diskussion.

Die Liberalisierung und die damit zusammenhängende Zunahme des Sponsoring bei der Finanzierung von Kulturprojekten hat zur Folge, dass Besucherzahlen und Einschaltquoten eine grössere Bedeutung erhalten haben. Allerdings wurde darauf hingewiesen, dass gesamthaft gesehen das Sponsoring bei der Kulturfinanzierung eine untergeordnete Rolle spielt, die Hauptlast liegt bei den Kantonen und den Gemeinden. Besucherzahlen und Einschaltquoten dürfen nicht rein quantitativ betrachtet werden, entscheidend ist die Wirkung. Es geht um die Frage der Qualität und der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der jeweiligen Veranstaltung.

Wichtige Hinweise auf die Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von öffentlicher Hand und privater Finanzierung geben die Erfahrungen der Expo 02. Auch hier hat es sich gezeigt, dass mehrheitlich privat finanzierte Kulturprojekte es sehr schwierig haben; gleichzeitig kann festgestellt werden, dass die vom Bund in eigener Verantwortung realisierten Ausstellungen den privaten Projekten ebenbürtig sind.

In den Schlussvoten wurde von mehreren Podiumsteilnehmern Mut zur Subjektivität, zur Leidenschaft und zum Experiment gefordert, gekoppelt mit der Verpflichtung zur Rotation, zum Wechsel unter den Verantwortlichen. Vornehmste und wichtigste Aufgabe dieser Kulturverantwortlichen ist es, Brücken zu bauen zum Publikum, zur Öffentlichkeit. Gleichzeitig aber wurde warnend darauf hingewiesen, dass das Terrain für eine breite kulturpolitische Dikussion noch nicht vorbereitet ist.

Abschliessend erklärte sich Rainer Peikert befriedigt darüber, dass sich im Gespräch eine grosse Übereinstimmung in Bezug auf das Kulturverständnis und die zukünftige Kulturpolitik ergeben habe. Der Schweizerische Kunstverein will auch in der weiteren kulturpolitischen Diskussion als Katalysator wirken und mithelfen, dass aus dem Können und Müssen ein Dürfen wird.